Ödön von Horváth (1901-1938) ist ein Klassiker der Moderne. Seine Stücke gehören seit vielen Jahrzehnten zu den meistgespielten des deutschsprachigen Raumes. Sein Roman Jugend ohne Gott ist fixer Bestandteil eines (Schul-)Kanons der Lektüre. Das neue, vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF vor kurzem bewilligte Projekt „Ödön von Horváth: Edition und Dissemination“ dient dem Abschluss der historisch-kritischen Edition, die seit 2009 im Berliner Verlag de Gruyter erscheint. Darüber hinaus soll sich das Projekt der Erweiterung der digitalen Dramen-Edition des Autors widmen, von der bislang protoptypisch das berühmteste Stück des Autors, Geschichten aus dem Wiener Wald, vorliegt. Dafür wurde eine Kooperation mit dem Zentrum für Informationsmodellierung (ZIM) der Universität Graz eingegangen, das über umfängliche Expertise zum neuen Methodenparadigma der digitalen Geisteswissenschaft verfügt. Zur Dissemination der Forschungsergebnisse trägt die Erstellung eines Handbuches bei, dessen Fehlen im Fall Horváth von der Fachwissenschaft seit langem beklagt wird. Der Abschluss der Ausgabe, die insgesamt eines der größten derzeit laufenden Editionsprojekte zur Literatur des 20. Jahrhunderts ist, wird von einem internationalen Fachsymposium gerahmt.
Die historisch-kritische Ausgabe Ödön von Horváths legt einen besonderen Akzent auf die Darstellung der Textgenese und schärft damit den Blick auf die Produktionsweise einiger der wirkmächtigsten Texte der deutschsprachigen Literatur. In insgesamt neunzehn Bänden umfasst die Ausgabe alle abgeschlossenen und Fragment gebliebenen Werke des Autors sowie alle Notizbücher, Briefe und Lebensdokumente. Damit bietet sie der literatur- und theaterwissenschaftlichen Forschung erstmals eine vollständige und gesicherte Text- und Quellenbasis und stellt einer kulturwissenschaftlichen Forschung, die an Fragen der Materialität und Genealogie des Schreibens interessiert ist, ein wichtiges Korpus zur Verfügung. Unmittelbare Anwendung findet die Ausgabe über die Fachwissenschaften hinaus im Bereich der zeitgenössischen Theaterpraxis. Mehrere Inszenierungen an großen deutschen und österreichischen Bühnen haben das in den letzten Jahren bewiesen.
Im Rahmen des Projektes werden mit „Autobiographisches, Theoretisches, Vermischtes“ (Band 17), „Briefe, Lebensdokumente, Akten“ (Band 18) und „Notizbücher“ (Band 19) die letzten drei Bände der Ausgabe vorgelegt. Zu neuen editorischen Umsetzungsformen fordert hierbei vor allem Band 18 heraus, der alle Horváth betreffenden Behörden-Akten enthält. Diese Quellen bieten Forschungen zur Biographie des Autors erstmals eine gesicherte Grundlage. Die Edition solcher Akten bringt spezifische Herausforderungen mit sich, die im vorliegenden Band in innovativer Weise in den Rahmen einer literaturwissenschaftlichen Ausgabe gestellt werden. Die digitale Edition wird im Rahmen des Projekts auf alle Stücke des Autors ausgedehnt. Spezifische Tools – wie z.B. die Möglichkeit, sich Figurennetzwerke anzeigen zu lassen – machen die Werke des Autors und ihre Strukturen in Paradigmen zugänglich, die die digitalen Geisteswissenschaften gesetzt haben. Ein Ziel des gegenständlichen Projektes ist es, das Potential solcher Ansätze zu zeigen und es gleichzeitig vor dem Hintergrund klassischer Editionsmethodik und Interpretation zu diskutieren.
Martin Vejvar