BARBARA BELIC IM GESPRÄCH MIT KÜNSTLERFREUNDEN UND -FREUNDINNEN WERNER SCHWABS (2014)
Interviews mit Harald Kostmann (23:17 min.), János Erdödy (27:00 min.), Ursula Molitschnig (20:35 min.), Erni Mangold (14:40 min.), Ernst M. Binder (19:45 min.), Alfred Kolleritsch (16:10 min.) und Günter Schimunek (15:28 min.) in chronologischer Reihenfolge ihrer künstlerischen Zusammenarbeit mit Werner Schwab
Filminterviews: Barbara Belic; Kamera und Technik: David Kranzelbinder
Fleisch, Musik und Sprache, der braune Morast und die präsidialen Größenphantasien, Goethe und Donald Duck, das eigene Leben und die Kunst – alles konnte für Werner Schwab zum Material werden. Er formt daraus seine als „Schwabisch“ berühmt gewordene „Schrottsprache“ und „Kadaverstücke“ mit Figuren wie dem „Drecksepp“ oder dem „Krüppelherrmann“. Mit seinen „Fäkaliendramen“ avanciert er zum meistgespielten deutschsprachigen Theaterdichter der frühen 90er Jahre und stirbt mythenumwoben wie ein Popstar erst 35jährig in der Silvesternacht 1993/94. Seine Stücke werden nach wie vor in aller Welt gespielt und haben bis heute nichts von ihrer Radikalität verloren. Seine hermetische, „absolute“, Sinngrenzen überschreitende Prosa gilt es noch zu entdecken und ihr den gebührenden Rang an der Seite von Antonin Artaud oder Konrad Bayer zuzuweisen.
2018 wäre Werner Schwab 60 Jahre alt geworden. 2014, 20 Jahre nach seinem Tod, haben sich Künstlerfreunde und Weggefährten an den Autor und bildenden Künstler, den mail-art-Produzenten, Heavy Metal-Fan, an den manisch Produzierenden, den exzessiven Grenzüberschreiter, Trinker und Provokateur, den Sohn wider Willen und sensiblen Freund, an gemeinsame Projekte und biografische Details erinnert und zeichnen das Bild einer komplexen, komplizierten, höchst eindrucksvollen Persönlichkeit, der in unaufhörlichen Transformationsprozessen jegliches Lebensmaterial zum „Kunstdünger“ geriet.
Die sieben Filminterviews, die Barbara Belic mit Ernst M. Binder, János Erdödy, Alfred Kolleritsch, Harry Kostmann, Erni Mangold, Ursula Molitschnig und Günter Schimunek führte, wurden für die Ausstellung „Haufenweise Schwab. Eine Nachlassausstellung mit Fortsätzen anlässlich des 20. Todestags“ (Literaturhaus Graz, 25.3.-30.4.2014, kuratiert von Daniela Bartens) in Auftrag gegeben und dort mit zahlreichen Originaldokumenten und Begleitmaterialien präsentiert. Anlässlich des 60. Geburtstags werden sie nun im Rahmen eines umfangreichen Dossier online zu Werner Schwab (2018) einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Auswahl der Gesprächspartner erfolgte mit dem Ziel, auch bisher in der Schwab-Forschung ungehörte und in der Summe möglichst heterogene Stimmen aus unterschiedlichen Lebensphasen zu Wort kommen zu lassen. Ausschlaggebend war auch der Aspekt der Zusammenarbeit (von den frühesten Kunstäußerungen als Gitarrist über die Zeiten in der Galerie Cool Tour, das Studium an der Akademie der Bildenden Künste bei Bruno Gironcoli bis zu den frühen Kooperationen am Theater, gemeinsamen Lesungen und letzten, unfertig gebliebenen Text-Bild-Projekten). Es handelt sich um eine einigermaßen repräsentative Auswahl, die aber keine Vollständigkeit für sich in Anspruch nimmt – Fortsetzungen sollten folgen.
Daniela Bartens
Harald Kostmann
Jugendfreund Werner Schwabs aus der Zeit am Grazer Ruckerlberggürtel Ende der 1960er Jahre, erste gemeinsame künstlerische Aktivitäten, zunächst als „Rockmusiker“, Bandgründungsversuche, Vorlesungsbesuche am Institut für Elektroakustik bei Dieter Kaufmann in Wien, Studienkollege Schwabs an der Akademie der bildenden Künste bei Bruno Gironcoli (1978/79), gemeinsames Engagement in János Erdödys Produzentengalerie „Cool Tour“ (aktionistische Lesung Der Teufel und der liebe Gott, 1979), mit Schwabs Umzug nach Kohlberg (1981) bricht der Kontakt ab.
Barbara Belic im Gespräch mit Harald Kostmann
János Erdödy
Langjähriger Freund Werner Schwabs, erste Kontakte 1974 durch einen Job im Grazer Geidorfkino, gemeinsame Ausstellungs- und Konzertbesuche, März 1978 Eröffnung seiner Produzentengalerie „Cool Tour“ mit Schwabs erster Ausstellung Veraendung (Worte und Satzgruppen, mit Dymo geschrieben und auf Drei-Stern-Blätter geklebt, bildeten das Material der Ausstellung – etwa NS-Relikte in Grazer Straßennamen, optisch zur Hakenkreuz-Allusion geformt), 1978 bis zum Schließen der Galerie 1980 nimmt Schwab an mehreren Aktionen teil; 1980/81 Studienkollege Schwabs an der Akademie der bildenden Künste, in dieser Zeit auch Mitbewohner einer 3er-WG mit Werner Schwab und Arnold Strohmeier, 1978-1990 intensive gemeinsame Mail-Art-Produktion, von der ca. 200 Exponate, teilweise mit Originaltexten Schwabs, erhalten sind, die zwar 1996 bei den Wiener Festwochen ausgestellt, aber bisher noch nicht in Katalogform publiziert wurden.
Barbara Belic im Gespräch mit János Erdödy
Ursula Molitschnig
Erste Schauspielerin in einem Schwab-Stück: einzige (Sprech-)Rolle in der ersten Theateraufführung von Werner Schwab, „Das Lebendige ist das Leblose und die Musik. Tonstück in zwei Teilen“, das am 22.4.1989 in der Grazer Diskothek Bronx (Regie Werner Schwab) im Rahmen des Festivals Die Vorstadt schlägt zurück aufgeführt wurde, eines Festivals, das noch im selben Jahr zur offiziellen Gründung der unabhängigen Künstlervereinigung „Intro Graz Spection“ führte. Der Grazer Verein Kulturhauskeller mit Christian Marczik als Programmverantwortlichem, aus dessen Aktivitäten 1989 die „Intro Graz Spection“ hervorging, zählte zu den frühen Förderern des literarischen Werks von Werner Schwab. Abgesehen von der Inszenierung Das Lebendige ist das Leblose und die Musik (22.4.1989) fanden in diesem Rahmen die Lesung Mein Wort, mein Ton: Ein Kuss gemeinsam mit Gerfried Stocker (Galerie Exhibitions, 12.10.1989) statt, weiters eine Doppellesung (Helmut Eisendle/Werner Schwab) unter dem Titel Hüftschüsse (Kulturhauskeller, 8.11.1989), außerdem arbeitete Werner Schwab am Text von Christian Marcziks „akustischer Bestandsaufnahme“ Niemandsland mit (Steirische Kulturinitiative mit ORF, Landesstudio Steiermark, gesendet am 29.11.1989).
Während der Inszenierung von „Das Lebendige ist das Leblose und die Musik. Tonstück in zwei Teilen“ wurden Dias von Werner Schwabs noch unpublizierten Collagen mit Popstars an die Wand geworfen, aber auch von Schwab bearbeitete, mit Kratzspuren versehene, stark überzeichnete Fotoporträts der Schauspielerin über deren Gesicht und Körper geblendet und so der Körper von den auf ihn geworfenen Blicken, von den Körperbildern, überlagert.
Barbara Belic im Gespräch mit Ursula Molitschnig
Erni Mangold
Als Jurorin in einem Fördergremium des BMUK am Zustandekommen der ersten großen Inszenierung eines Schwab-Stücks, Die Präsidentinnen, beteiligt und als Schauspielerin Mitwirkende an dieser und der nachfolgenden Uraufführung, mit der dann Schwabs Karriere als Dramatiker begann:
Die Präsidentinnen, Künstlerhaus Wien, Prem.: 13.2.1990 (UA), Reg.: Günther Panak
Übergewicht, unwichtig: Unform. Ein europäisches Abendmahl, Schauspielhaus Wien, Prem.: 12.1.1991 (UA), Reg.: Hans Gratzer
In ihren Memoiren widmet sie ein Kapitel der Begegnung mit Werner Schwab:
Antworten, unkontrolliert, so übernahm ich das Reden. Nur einen klaren Satz brachte er heraus: „Die Frau Mangold weiß, wie man meine Stücke spielt. Sie hat den Schwab-Stil.“
Ich wusste, wie man seine Figuren spricht. Klar, einfach, schnörkellos hinaussagen, keinesfalls mit Dialekt. Denn Schwabs Stücke sind alles andere als Volksstücke. Wenn man Schwab als Volksstück spielt, zieht es dir die Schuhe aus. Ich spielte zwei Stücke von ihm und war bei einer Marathonlesung im Schauspielhaus dabei. (aus: Erni Mangold: Lassen Sie mich in Ruhe. Erinnerungen. Aufgezeichnet von Doris Prisching. Wien: Amalthea 2011, S. 172.)
Bei der ebenfalls dort wiedergegebenen Episode mit dem „Killerhund“ handelt es sich freilich – Ingeborg Orthofer zufolge – um eine typisch Schwab’sche Mystifikation.
Barbara Belic im Gespräch mit Erni Mangold
Ernst M. Binder
Kannte Schwab aus dem Grazer Forum Stadtpark und führte bei drei Schwab-Inszenierungen Regie:
[gemeinsam mit Christian Pölzl]: Mein Hundemund, Uraufführung am Wiener Schauspielhaus, Prem.: 15.1.1992. [Co-Produktion Schauspielhaus Wien und Forum Stadtpark Theater Graz] Das Programmbuch zur Uraufführung wurde von Werner Schwab durch Übermalungen von Landfotos auf Transparentpapier mitgestaltet.
Faust :: Mein Brustkorb : Mein Helm, Mecklenburgisches Staatstheater Schwerin/Kammerbühne, Prem.: 7.5.1997.
Übergewicht, unwichtig: Unform. Ein europäisches Abendmahl, dramagraz im Volkshaus Feldbach, Prem.: 24.7.2008. [Co-Produktion dramagraz und steirische kulturinitiative]
Anlässlich seiner Inszenierung von „Übergewicht, unwichtig: Unform. Ein europäisches Abendmahl“ hat sich Ernst M. Binder in einem tagebuchartigen Text „zum 50er“ des verstorbenen Freundes an seine Begegnungen mit Werk und Person erinnert:
Kopfschach spielen um fünf Uhr früh in einer fremden leeren Wohnung in der Josefstädterstraße. Dass es seine Wohnung ist, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Wie gerade erst eingezogen und nur die Koffer – prall gefüllt mit Papier – geöffnet, Schallplatten auf dem Boden verstreut. FOETUS etwa. Schwab springt auf, sein Körper vollführt ruckartige, epileptische Verrenkungen. Dann setzt er sich wieder an das imaginäre Schachbrett. Edi heißt sein Gegner und ist im wirklichen Leben einer der wenigen engen Freunde. Volle Lautstärke Stille. „Läufer E4 auf C2“. Wieder das Haar und sich selbst aus dem Gesicht. Das Hirn freilegen. (aus: Ernst M. Binder: Da hält es keiner lange aus. Ein Tagebuch eine Erinnerung ein Weiter- und Fortschreiben. In: E.M.B.: Das stumme H oder Warum die Erde eine Scheibe ist, und das Glück der Papagei des Melancholikers. Texte. Wien: Sonderzahl 2011. (= edition graz. 5.) S. 87.)
Barbara Belic im Gespräch mit Ernst M. Binder
Alfred Kolleritsch
Wird anlässlich von dessen erster Lesung im Forum Stadtpark (9.3.1989) von Lucas Cejpek und Wilfried Prantner auf Werner Schwab hingewiesen und lernt ihn wenig später durch Günter Schimunek kennen. 1990 erscheinen erste Kapitel aus „Abfall, Bergland, Cäsar. Eine Menschensammlung“ in den „manuskripten“, das gleichnamige Buch wird über Vermittlung Kolleritschs im Residenz Verlag publiziert. Von 1990 bis zu Schwabs Tod eine gemeinsame Reise zur Frankfurter Buchmesse 1992, gemeinsame Lesungen, loser Kontakt.
In den „manuskripten“ erschienen zu Lebzeiten Schwabs:
ABFALL BERGLAND CÄSAR. Eine Menschensammlung. In: manuskripte 30 (1990), H. 108, S. 32-44.
ABFALL BERGLAND CÄSAR. Eine Menschensammlung (Fortsetzung). In: manuskripte 31 (1991), H. 111, S. 48-55.
ABFALL BERGLAND CÄSAR. Eine Menschensammlung (Fortsetzung). In: manuskripte 31 (1991), H. 113, S. 19-26.
ABFALL BERGLAND CÄSAR. Eine Menschensammlung (Fortsetzung). In: manuskripte 31 (1991), H. 114, S. 59-66.
Der Dreck und das Gute. In: manuskripte 32 (1992), H. 117, S. 25-28.
Das Gute und ihr Dreck. In: manuskripte 32 (1992), H. 117, S. 29ff.
FAUST :: MEIN BRUSTKORB : MEIN HELM. In: manuskripte 33 (1993), H. 122, S. 2-20.
Barbara Belic im Gespräch mit Alfred Kolleritsch
Günter Schimunek
Lernt Werner Schwab 1989 anlässlich einer Lesung aus Abfall Bergland Cäsar im Rahmen der Veranstaltung Mein Wort, mein Ton: Ein Kuss in der Grazer Galerie „exhibitions“ (12.10.1989) über Bernd Höfer, den Vermieter und freundschaftlich verbundenen Förderer Schwabs, kennen, von da an bis zuletzt regelmäßiger Kontakt und gegenseitige Wertschätzung über die künstlerische Arbeit hinaus. Treffen in Graz und Wien, Schwab liest anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung von Schimunek (1990) im Grazer Orpheum, Schimunek produziert „Körperverwertungsbilder“, Collagen anhand von Fotos aus Schwabs Inszenierung seines Stücks Pornogeographie am Grazer Schauspielhaus (UA 3.10.1993). Ein Buch mit Texten von Werner Schwab und jenen Collagen von Günter Schimunek war geplant und konnte nicht mehr realisiert werden. Der Günter Schimunek zugeeignete Schwab-Text Der Bauch erscheint als erster einer ganzen Reihe von posthum veröffentlichten Texten aus dem Nachlass in den „manuskripten“ 34 (1994), H. 125, S. 3.
Barbara Belic im Gespräch mit Günter Schimunek
Daniela Bartens