„No One Here Gets Out Alive“
Günter Eichbergers „Schundstückl“ Der Förster vom Silberwald
Günter Eichberger: Der Förster vom Silberwald. Typoskripte, FNI-EICHBERGER-1.2.6 und FNI-EICHBERGER-2-1.2.1; Doppelseite aus Günther Schwab: Der Förster vom Silberwald (Bonn 1956, Ex. der UB Graz)
Günter Eichberger wurde 1959 in Oberzeiring in der Steiermark geboren und lebte bis zur Matura im obersteirischen Judenburg. Er studierte ab 1978 Germanistik und Anglistik in Graz und promovierte 1984 mit einer Dissertation über Die Theorie der Praxis, die Praxis der Theorie. Das poetologische Selbstverständnis österreichischer Gegenwartsautoren. Erste Publikationen erschienen in den Zeitschriften Sterz und manuskripte. Seit 1987 ist Eichberger freiberuflicher Schriftsteller in Graz und gehört, vielfach ausgezeichnet, längst zum Kanon der Grazer Avantgardeliteratur und der österreichischen Gegenwartsliteratur. Neben zahlreichen Buchpublikationen, seit der Jahrtausendwende meist im Klagenfurter Ritter-Verlag, konnte er auch mit Theaterstücken auf Grazer und Wiener Bühnen reüssieren, etwa mit Ferienmörder (2016). Die ersten dieser Stücke entstanden Anfang der 1980er-Jahre und damit mitten im Umfeld des Forum Stadtpark und von Eichbergers Freundschaften zu Proponenten wie Wolfgang Bauer und Gunter Falk.
Das unveröffentlichte Theaterstück Der Förster vom Silberwald entstand von September bis Dezember 1980 und damit unmittelbar nach Eichbergers erster Lesung im Forum Stadtpark und der ersten Veröffentlichung in den manuskripten. Im Archiv des Franz-Nabl-Instituts ist es in Form von zwei Typoskripten überliefert – einmal als Zugang aus dem Jahr 1990, und damit aus den frühesten Beständen des Instituts, und einmal im umfangreichen Vorlass, der 2021 erworben werden konnte. Die beiden Typoskripte erzählen aber nicht nur etwas über den Bestandsaufbau des Archivs, sie unterscheiden sich auch inhaltlich: Das erste, das einen handschriftlichen Vermerk „für Alfred Kolleritsch“ trägt und nur den Dramentext selbst enthält, dürfte eine Kopie von jenem sein, das Eichberger im Jänner 1981 als sein „bestes Werk (bislang)“ offiziell bei Kolleritsch als Direktoriumsmitglied des steirischen herbstes einreicht, weil er damit „große Freude“ hat und es „entsprechend ausgeführt sehen möchte“.1 Das zweite Typoskript enthält neben dem Dramentext auch ein kursorisches Szenarium und ein erklärendes Exposé zum „Schundstückl“, das, der pataphysischen Überzeugung des Autors folgend, triviale Volksstück-Dramaturgie mit artifizieller, ideologisch verbrämter Sprache, Trivialität mit Ideologie verbinden soll. Die irritierende Kombination verschiedener Elemente erscheint Eichberger auch im Rückblick als poetologische Grundlage seiner frühen Stücke, wenn er meint, er habe eine „Verbindung von Komik und Verstörung […] damals wie heute angestrebt“.2
Eichberger erweist sich in Der Förster vom Silberwald als geschickter Persiflierer der Tradition des österreichischen Heimatromans bzw. Heimatfilms. Der Förster vom Silberwald (AT 1954, R: Alfons Stummer; in Österreich unter dem Titel Echo der Berge) war einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Filme überhaupt und war stilbildend für die Heimatfilme der 1950er-Jahre. In den Hauptrollen spielten Anita Gutwell und Rudolf Lenz, denen beiden durch den Film der Durchbruch gelang.
Die Handlung des Films, nach dessen Vorlage auch ein Roman entstand,3 in dem sich der steirische Förster Hubert Gerold in die Bildhauerin Liesl Leonhard aus Wien verliebt, die von ihrem Großvater in die steirischen Berge eingeladen wurde – dramatischer Wendepunkt und Happy End inklusive –, spielt für Eichbergers Stück keine Rolle. Vielmehr handelt es sich bei dem „Schundstückl“ des Avantgardeliteraten um eine Persiflage auf das gängige Muster des Heimatromans oder Heimatfilms. An Figuren finden sich hier der Bauer Josef Huber, vulgo Hodlkoa, seine Magd Resi, sein Knecht Bartl, die Köchin Burgl sowie – als special guest gewissermaßen – der Förster vom Silberwald namens Ewald.
Es ist ein veritables steirisches Anti-Heimatstück vom Typ der „satirische[n] Aufrisse“4, das Eichberger schreibt, wenige Jahre nach dem Roman Aus dem Leben Hödlmosers (1973) von Reinhard P. Gruber. Bemerkenswerterweise sprechen Eichbergers Figuren aber keinen Dialekt (mit Ausnahme einiger Einsprengsel), sondern feinstes Hochdeutsch. Auch Zitate aus der Weltliteratur, von Shakespeare bis zu Goethe und Schiller, garnieren dieses „Schundstückl“, das schon von der Gattungsbezeichnung her auf den ‚Schund‘ anspielt, vor dem die Jugend, vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren, bewahrt werden sollte.
Doch Eichbergers Stück schert sich einen Dreck um Schmutz und Schund, im Gegenteil: je dreckiger und je schundiger, desto lieber. Sexualität, Geilheit, sprachliche und körperliche Gewalt werden hier ausgestellt. Der Bauer ist oder wäre eigentlich lieber Dichter und hat einen Lustknaben namens Chou-Chou in der Stadt. Lieber ist er deshalb im ‚Maxim‘ als auf seinem Hof. Da darf natürlich die Zeile „Da geh‘ ich zu Maxim‘s, da bin ich sehr intim“ nicht fehlen. Eichberger erweist sich mit diesem Stück als versierter Kulturverschneider, egal ob Hoch- oder Populärkultur, alles landet in der Mischmaschine des Poeten. Auch dramaturgische Traditionen, etwa der vorshakespeareschen Volkskomödie (so verrät es das Exposé), werden verarbeitet und machen das Ganze zu einem veritablen Stück Metatheater.5 Sprachlich gewürzt ist das mit Schimpfwörtern und Kraftausdrücken, aber eben auch mit Bildungsjargon. Immer wieder finden sich gereimte Verse. Auch Gedichte und Musikstücke (von Volkslied bis Klassik) sind in das Stück eingebaut.
Am Schluss kommt es zu einem Showdown („Finale Grande“). Der Förster schießt alle nieder: „[h]ier kommt keiner mehr lebendig raus, ihr armseligen Bildungsbürger! Ihr Analisten!“ Keine „Publikumsbeschimpfung“, sondern viel eher schon eine Publikumsvernichtung findet hier statt – „No One Here Gets Out Alive“, wie es bei Paul Divjak in einer neuen Publikation heißt.6 Das „Schundstückl“: ein Abgesang auf das vielerorts idyllisierte Landleben – aber auch auf die (Heimat-)Literatur –, der Topos ‚Steiermark‘ an sein Ende gebracht. Das ist nur konsequent, wenn man Eichbergers Überlegungen zum Thema ‚Heimat‘ zugrunde legt. In seinem jüngst erschienenen Buch Fragmente einer anarchistischen Poetik stellt er theoretisch konsequent wie humanistisch zugewandt klar:
„Aus anarchistischer Sicht gibt es so etwas wie Heimat nicht. Wir kommen ungefragt irgendwo zur Welt, bekommen dort unfreiwillig unsere kulturellen Prägungen, schlagen womöglich Wurzeln und halten uns dann für einem Staat Zugehörige. Heimatliebe ist die schlimmste Verdinglichung, die es gibt. Lieben kann man Menschen, aber doch nicht den Flecken Erde, auf dem man steht.“7
Nicole Streitler-Kastberger und Stefan Alker-Windbichler
Das Thema „Fiktion Heimat“ steht im Mittelpunkt des gleichnamigen Symposions des Franz-Nabl-Instituts für Literaturforschung, das von 23. bis 25. April 2025 im Literaturhaus Graz stattfindet.
1 Günter Eichberger an Alfred Kolleritsch, Brief vom 8.1.1981, 1 Bl., FNI-Manuskripte-76,6.
2 Günter Eichberger: Gefängnis mit Ausgang. Zu meinen Stücken. In: Ders.: Ferienmörder. Stücke. Klagenfurt: Ritter 2016, S. 253–258, hier S. 256.
3 Günther Schwab: Der Förster vom Silberwald. Echo der Berge. Roman nach dem gleichnamigen Farbfilm. Bonn, München, Wien: Bayerischer Landwirtschaftsverlag 1956.
4 Klaus Zeyringer: Österreichische Literatur seit 1945: Überblicke, Einschnitte, Wegmarken. Neuaufl. Innsbruck: Haymon 2001, S. 166.
5 Vgl. Gerhard Fuchs: „Unmöglichkeitssinn“. Zu Günter Eichbergers Texten und Stücken. In: manuskripte 59 (2019), H. 225, S. 139–143, hier S. 141.
6 Paul Divjak: Dass die Bäume langsam wachsen, wissen wir. Thailändische Miniaturen. Klagenfurt: Ritter 2024, S. 56.
7 Günter Eichberger: Fragmente einer anarchistischen Poetik. Klagenfurt: Ritter 2025, S. 35f.


