„ALS DIE ISCHLER AUSZOGEN, DIE LITERATUR ZU EROBERN…“ (HELMUT SCHRANZ)
Druckvorlage für Plakate der Zeitschrift PERSPEKTIVE, 1 Bl., aus dem gangan-Verlagsarchiv am Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung.
Bad Ischl in den 1970er Jahren. Ein Dorf, das seine Blütezeit als kaiserlich-königliche Sommerfrische lang hinter sich hatte, wird zum Gründungsort einer bis heute im Grazer Kontext (neben den Literaturzeitschriften „manuskripte“, „Sterz“, „Lichtungen“ und „Schreibkraft“) agierenden Literaturzeitschrift. Den Start legt eine Gruppe von Jugendlichen des örtlichen Oberstufenrealgymnasiums (Wilfried Gottwald, Alfred Ledersteger, Erika Rinner, Ernst Tipka und Ingrid Windhager), als sie im Frühling 1977 erstmals ein fotokopiertes Heft unter dem Titel „PERSPEKTIVE“ herausgibt. Anfangs stammen die Texte vor allem von den Gruppenmitgliedern selbst. Später können auch „prominentere“ Autorinnen und Autoren wie Gerhard Amanshauser, H. C. Artmann, Wolfgang Bauer oder Friederike Mayröcker gewonnen werden.
Der Schulabschluss der fünf Mitglieder 1982 bedeutet eine Neustrukturierung der Redaktionsgruppe in Graz rund um Alfred Ledersteger und steht symbolisch für die folgenden Jahrzehnte: Die hohe Fluktuation in der Redaktion führt zu ständigen Paradigmenwechseln in der Ausrichtung der Zeitschrift. So nehmen insgesamt 35 Autorinnen und Autoren in der Frühphase als Herausgeberinnen und Herausgeber an dem Projekt teil. Die meisten verlassen die Zeitschrift nach ein bis zwei Jahren wieder, kehren der Literatur den Rücken, gründen Kleinverlage (Horst G. Ganglbauers Verlag „gangan“ 1984 und Dieter Sperls „edition gegensätze“ 1992/93) oder widmen sich anderweitig der Literatur (Martin Ohrts „Jugendliteraturwerkstatt Graz“).
Mitte der 1990er Jahre weichen Literaturpolitisches und Ästhetik mehr und mehr der Idee, der etablierten Avantgarde in Graz eine Gegenposition zu bieten. So beschreibt der Mitherausgeber Horst Gerald Ganglbauer im „editiorial“ von Heft 9 (1983) die „herausgeberische Programmatik“[2] der Zeitschrift als eine „logische Ergänzung“[3] bzw. als ein „Gegenstück zu den etablierten“[4] Zeitschriften „manuskripte“ und „Sterz“. Diese erscheinen als „abgehoben und etabliert […], wogegen man selber sich an ,die‘ basis, also an ,junge‘ autor(inn)en und an ein jung(geblieben)es publikum wende.“[5]
Diesen jungen Autorinnen und Autoren aus Österreich wolle man so eine Plattform für ihre Texte bieten. Möglich wird dies durch das basisdemokratisch agierende Redaktionsteam, den eigenständigen Vertrieb der Hefte sowie das Selbstverständnis der Gruppe, dass „jeder, der mitarbeitet, [auch mit-]bestimmt und veröffentlicht.“[6] Das gezeigte Gedicht von Werner Poscharnigg (Veröffentlichungen in Heft 8 und 12) auf einem Plakat der PERSPEKTIVE aus den späten 1990er Jahren fasst dies so zusammen:
PERSPEKTIVE
DAS IST:
VERBINDUNGSLINIEN ZIEHEN
ZWISCHEN KÖPFEN,
OHREN ÖFFNEN,
MIT BLICKEN DURCHDRINGEN,
LINIEN ZIEHEN INS KOMMENDE,
IST EXTRAPOLATION HINTER
DEN FLUCHTPUNKT.
IST ABER NICHT:
KAUGUMMIFADEN ZWISCHEN
KINOSESSELN UND DEINER
HAND,
ODER SPEICHELFADEN
ZWISCHEN AUTORITÄT
UND DEINER ZUNGE.
IST ABER
DURCHDRINGEN
ZUM FREIEN,
BUNTGESCHECKTEN
WORT.
Heft 10 (Veröffentlichung Ende 1983), dessen erste Planungsentwürfe ebenfalls hier gezeigt werden, „versucht […] auf vielstimmigkeit als korrektiv zu setzen und publiziert editorialbeiträge von allen acht (!) redaktionsmitgliedern“.[7] Die ebenfalls gezeigte Mitschrift einer Redaktionssitzung am 3.2.1983 sowie die Rezensionen zum Erscheinen der Ausgabe zeigen hingegen die Schwierigkeiten auf, mit denen sich die damals junge Zeitschrift konfrontiert sah:
So dokumentiert das Protokoll der Sitzung einerseits die Diskussion um die Linie der Zeitschrift und die Bewertung der einzelnen Texte, andererseits den Wunsch eines Redaktionsmitglieds, die Gruppe wieder zu verlassen.
Peter Köck rezensiert in der Kleinen Zeitung, dass diese „irgendwo junge Zeitschrift, zumindest die Autoren seien jung, […] kaum bekannte Namen“[8] beinhaltet, und Riki Winter merkt in der Neuen Zeit an, dass das professionellere Druckverfahren (Glanzpapier und zweifarbiges Titelblatt) zumindest ein „Versuch sei, dort hinzukommen, wo man noch nicht ist – zum Literaturbetrieb“[9].
Mit Beginn der 1990er Jahre vollzieht sich abermals ein Umbruch: Helmut Schranz, Robert Steinle, Ralf B. Korte und Sylvia Egger bilden von nun an das Redaktionsteam der Zeitschrift und geben ihr ihre heutige Richtung. Sie setzen sich dezidiert mit den Avantgarde-Paradigmen der Moderne auseinander und loten den literarischen Betrieb auf eine betriebskritische Weise aus. Die PERSPEKTIVE trägt heute den Anspruch, ästhetische Formen mit gesellschaftsrelevanten Themen zu verbinden und diese in einem Themenheft zu präsentieren.
Chiara-Teresa Kirschen
[1] Helmut Schranz: als die ischler auszogen, die literatur zu erobern… 19 nummern perspektive (1977 bis 1990). In: perspektive. konzepte für eine zeitgenössische literatur. revue nach neunundvierzig nummern. Hrsg. v. Ralf B. Korte, Paul Pechmann und H.S. Wien: Sonderzahl 2006, S. 41-51.
[2] Vgl. Helmut SCHRANZ: Basislager Avantgarde: Perspektive – hefte für zeitgenössische literatur… Paradigmenwechsel in Gruppe, Zeitschrift, Lesungsreihen 1977 – 1999. Graz, Dipl.-Arb. 2005, S. 17.
[3] Leo Lukas: Lesezeichen. Perspektive. In: Kleine Zeitung (Graz) v. 6.6.1982.
[4] (K.H.): Echte Perspektive? Neue Grazer Literaturzeitschrift. In: Kronen Zeitung (Graz) v. 23.6.1982.
[5] Schranz, als die ischler auszogen, S. 44.
[6] Horst Gerald Ganglbauer: editiorial. In: perspektive (1983), H. 9, S. 4.
[7] Schranz, als die ischler auszogen, S. 44.
[8] Peter Köck: Perspektive für junge Autoren. In: Kleine Zeitung (Graz) v. 16.12.1983.
[9] Riki Winter: „Elitären Literaturbereich“ durchbrechen: „Perspektive“. In: Neue Zeit (Graz) v. 17.12.1983.