EIN JEDER MENSCH. Zeugnis einer Leidenschaft für das Grazer Kabarett
4 Notenhefte, hs. mit Beschriftung „Ein jeder Mensch. Brettl von Emil Breisach. Musik Fridl [sic] Althaller“, jeweils 10 Bl., aus dem Teilnachlass von Emil Breisach am Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung, Signatur: FNI-Breisach-Box 2-1.2.1.1
„Musik zu ‚Ein jeder Mensch‘ von Emil Breisach und Fridl [sic] Althaller“ – Vier Notenhefte mit ein und derselben Aufschrift; jedes davon enthält eine leicht abgeänderte Version desselben Chansons, die Zusammenarbeit dieser beiden Künstler, die eine Leidenschaft fürs Kabarett verbindet, bleibt jedoch bestehen und zwar über mehrere gemeinsame Projekte hinweg. Vom Treffpunkt Orpheum (1952-1953) bzw. diversen Radio-Kabaretts bis hin zu Produktionen für Forum-Zoo (1961); allesamt veranlasst von einem Mann, der seit 1946 als Leiter der Abteilung Unterhaltung und Kabarett in der Sendergruppe Alpenland, die später zum ORF Steiermark werden sollte, fungierte: Emil Breisach. Geboren 1923 in Stockerau/Niederösterreich, kam er als Neunjähriger nach Graz, erlebte den Zweiten Weltkrieg im Arbeitsdienst sowie an der Front mit und begann im November 1945 im Rundfunk tätig zu werden. Im Zuge seiner Leitungsfunktion trat er auch als Autor sowie Regisseur mehrerer Kabarett-Sendereihen in Erscheinung.
Zeugnis von Breisachs kabarettistischem Interesse legt auch „Ein jeder Mensch“ ab, ein Chanson, das mit mehreren anderen Texten in einer vom Autor selbst mit der Aufschrift „Kabarett-Texte: Studenten-Brettl, Tellerwäscher, Forum-Zoo“ versehenen Mappe gesammelt worden ist. Die tatsächliche Zugehörigkeit dieses Textes zu einem der drei Kabarett-Ensembles ist jedoch fraglich. Insbesondere die Entstehung des Chansons im Rahmen des Studentenbrettls ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Indiz dafür ist die Nennung des Komponisten Friedl (Winfried) Althaller, da jener an den Produktionen der Grazer Studenten nicht mitgewirkt hatte. Die Musik zum Studentenbrettl steuerte nämlich ein anderer bei, Walter Koschatzky, der dieses literarisch-zeitkritische Studentenkabarett, das zwischen 1946 und 1950 hauptsächlich im Mensasaal des Studentenhauses in der Leechgasse 5 seine Aufführungen darbot, gemeinsam mit Ulrich Baumgartner aus dem Grazer Hochschulstudio heraus begründet hatte. Neben Baumgartner selbst sowie Hellmuth Himmel und Heinz Gerstinger steuerte auch Breisach ab 1947 Texte bei, stand beizeiten sogar selbst als Darsteller auf der Bühne.
Lässt sich „Ein jeder Mensch“ also stattdessen dem Forum-Zoo zuordnen? Jenes Kabarett-Ensemble war 1961 von Breisach in seiner Funktion als Vorsitzender des Forum Stadtpark, die er von 1958 bis 1967 innehatte, gegründet worden, um die Lücke, die durch den Weggang des Würfels nach Wien entstanden war, zu füllen und damit die Kabarett-Tradition in Graz am Leben zu erhalten. Dabei handelte es sich um ein gesellschaftskritisches, zeitsatirisches Ensemble-Kabarett, für das hauptsächlich Breisach und Erik Rumbach (= Hellmuth Himmel) Texte schrieben, während Friedl Althaller die musikalische Gestaltung übernahm. Als Regisseur fungierte Harald Kopp. Die Zusammenarbeit von Breisach und Althaller ist hier also durchaus gegeben, jedoch sprechen Zeitungsberichte über die lediglich zwei Programme des Forum-Zoo, „Katz‘ aus dem Sack“ und „Made in Styria“, die tatsächlich zur Aufführung gelangten, dagegen, da dieses Chanson darin nicht vertreten ist.
Bleiben also noch die Tellerwäscher, bei denen es sich von 1963 bis 1971 um ein Amateur-Kabarett-Ensemble handelte, das sich aus dem Amateur-Theater-Verein Spielvögel (besser bekannt als Theater im Keller) heraus entwickelte, ab 1972 jedoch als selbständige Gruppe professionell auftrat. Zu Beginn unter der Leitung von Harald Kopp, ab 1989 bis zur Auflösung der Gruppe 1991 unter Hannes Urdl, steuerten zahlreiche AutorInnen Texte bei, u. a. Hellmuth Himmel, Gerda Klimek und Emil Breisach, wodurch insgesamt 35 Programme entstanden. Als Komponisten traten u.a. Dieter Gogg, Viktor Fortin und Friedl Althaller in Erscheinung. Die Grundlage der Arbeit an gemeinsamen Stücken mit Breisach wäre hiermit also erneut gegeben. Wiederum bleibt aber anhand der Aufführungsberichte offen, ob ein Chanson namens „Ein jeder Mensch“ in diesem Rahmen tatsächlich zur Aufführung gelangte. An dieser Stelle könnte man sich nun die Frage stellen, ob es sich bei dem vorliegenden Text um einen Auszug aus einem größeren Stück handelt, er folglich also unter einem anderen Titel gespielt worden ist. Darauf könnten Querverweise auf Seiten hindeuten, die im Konvolut selbst nicht enthalten sind, etwa der Hinweis „Werkelmann (Seite 17)“. Das vorliegende Chanson ist auf lediglich sechs Notenblattseiten abgefasst, wirkt in sich aber sehr geschlossen, was eher gegen die Abhängigkeit von einem größeren Ganzen spricht. Die Referenzen könnten als Hinweise auf bereits bestehende Stücke – wie Breisachs „Werkelmann“ – gedacht sein, die dem kundigen Mitarbeiter in Kürze andeuten, wie sich der Autor die Ausführung vorgestellt hätte. Eventuell wurden auch Textstellen aus bereits bestehenden Werken bei der Aufführung eingefügt.
Sollte das Chanson tatsächlich auch nicht bei den Tellerwäschern aufgeführt worden sein, so gibt es noch ein weiteres Projekt, bei dem eine Zusammenarbeit von Breisach und Althaller dokumentiert ist. Im Rahmen von ohnehin entstehenden Kabaretts fürs Radio begründete Breisach nämlich im Oktober 1952 den Treffpunkt Orpheum als öffentlich zugängliches Radio-Kabarett, abgehalten im Grazer Orpheum in einem zweiwöchigen Rhythmus bis Dezember 1953. Diese samstäglichen Veranstaltungen schlossen direkt an die letzte Kinovorstellung an, begannen also erst um 23 Uhr, wurden auch für den Rundfunk aufgezeichnet und tags darauf bereits ausgestrahlt. Wiederum findet sich Emil Breisach unter den Haupttextern. Zudem war er für die Regie verantwortlich. Die musikalische Gestaltung übernahm eine Kapelle, die von Friedl Althaller geleitet wurde. Als besondere Erfolge konnten jene Aufführungen verzeichnet werden, zu denen spezielle Gäste, wie etwa Peter Alexander, die Münchner Kabarettiche oder Maxi Böhm anreisten. Insgesamt wurden 19 derartige Programme im Orpheum aufgeführt, die alle ohne Titel blieben, weshalb sich wiederum das Problem der klaren Zuordnung von „Ein jeder Mensch“ ergibt. Somit ist auch nicht auszuschließen, dass das Chanson lediglich als Radio-Kabarett ausgestrahlt wurde oder etwa gar nicht erst zur Aufführung gelangte.
Ganz im Sinne der Gattung Chanson begnügt sich „Ein jeder Mensch“ mit dem Nötigsten, verpackt in aller Kürze auf ironische Weise Gesellschaftskritik, lässt einen „Chor der Neandertaler“ vor einem „Chor der Maschinen“ auftreten und verzichtet auch nicht auf eine wohlstandskritische „Vereinshymne“. Emil Breisach hat bleibende Eindrücke im steirischen Kulturleben hinterlassen, als Kulturmanager, Intendant des ORF Steiermark und Schriftsteller, aber auch als Kabarett-Autor, -Leiter und -Regisseur. Sein vielfältiges Engagement spiegelt sich auch in seinen Texten wider. Wenngleich die meisten seiner Kabaretts auf aktuelle Ereignisse Bezug nehmen, so ließen sich einige Stellen unverändert durchaus auch auf die Gegenwart anwenden, wenn es etwa heißt: „Mauer machen, fester fassen, keinen in die Mitte lassen. Exklusiv ist unser Kreis, der bleibt draußen, der was weiß.“ Häufig in Zusammenarbeit mit Friedl Althaller hat Emil Breisach zahlreiche auf das Kabarett bezogene Projekte realisiert und damit einen unverwechselbaren Beitrag zur Bereicherung der Kabarettszene in Graz nach 1945 geleistet. Gegen Ende des Brettls heißt es:
Träumt noch zu Ende euren Traum, der Apfel hängt zu hoch am Baum.
Anna Fercher