PETER HANDKE: SACRAMENTO
Typoskriptblatt mit hs. Korr. aus dem 6-seitigen Text „Sacramento“, undat. [1964], unpag. [Bl. 3, Ausschnitt]. Archiv des Franz-Nabl-Instituts für Literaturforschung, Sammlung Mixner, TA-24-8.
Der 19-jährige Peter Handke war 1961 nach Graz gekommen, um hier Rechtswissenschaften zu studieren. Spätestens 1963 kommt er mit dem (im November 1960 eröffneten) Forum Stadtpark in Kontakt und gleich in der Folge mit Alfred Holzinger, dem Leiter der Literaturabteilung des ORF-Studios Steiermark. 1964 sendet das steirische Lokalprogramm Auszüge aus „Die Hornissen“ und „Der Hausierer“. In der Folge intensiviert sich nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen die Zusammenarbeit und Handke verfasst Feuilletons, Buchrezensionen („Bücherecke“) und einen dramatisierten Sonntagsroman.
In diesen Grazer Jahren bis 1966 verstärkt sich Handkes Interesse für die Popmusik (Beatles…) und insbesondere für den Kinofilm. Das Anfang 1964 entstandene Kinofeuilleton „Sacramento“ ist keineswegs nur die Nacherzählung der Handlung des 1962 von Sam Peckinpah inszenierten Spätwestern-Klassikers, sondern eine genuin literarische Weiterentwicklung der Filmmotive. In diesem frühen Typoskript aus der von Manfred Mixner zusammengetragenen Sammlung von Funkhaus-Texten wird durch die (in den späteren Druckfassungen nicht mehr berücksichtigte) zweifärbige Unterteilung ein Konstruktionsprinzip von Handkes Text manifest: die rot eingefärbte, perspektivisch verkürzte Wiedergabe der Kinofilm-Handlung wird durch den „normalen“ Schreibmaschinentext konterkariert, in dem als Zusatzfigur ein Neffe des Vaters von Elsa (der unvorsichtigen Beinahebraut des Goldgräbers Billy Hammond) eingeführt wird. Dieser Ich-Erzähler überführt die cineastische Bildfolge in einen narrativisch strukturierten Erzählraum, individualisiert und personalisiert die Handlung bei gleichzeitiger Beibehaltung der Priorität optischen Wahrnehmens. Handkes sprachliche Wiedergabe von Bewusstseinsabläufen erfolgt in dieser Frühphase nüchtern-genau, Emotionen erschließen sich nur als Leerstelle jenseits der sprachlichen Deskription von empirischen Tatsachen.
Fünf Jahre später liest sich Handkes Auseinandersetzung mit dem Film („Dummheit und Unendlichkeit“, 1969) als ideologiekritische Polemik gegen eine selbstgewisse Verkürzungsbereitschaft, die später in unterschiedlichen Kontexten wieder aufgenommen werden sollte: „In der Nacht habe ich mir in der ‚Lupe‘ am Kurfürstendamm wieder Peckinpahs ‚Sacramento‘ (‚Ride the high country‘) angeschaut. Auf diesen unendlich schönen, ruhigen und traurigen Film, in dem man aufatmen und schauen konnte, reagierten die linken Nachtvorstellungsbesucher, die blind mit ihren elendblöden, lauten Zicken in die Nachtvorstellung geraten waren, mit besoffenem Grölen, Brüllen, Schreien. Sie waren gar nicht mehr fähig, was zu SEHEN, sie reagierten nur dumpf auf Reizwörter, wie die Meerschweinchen. Mein Wunsch: daß man sie zusammentun würde, die linke Scheiße und die rechte Scheiße, die liberale Scheiße dazu, und eine Bombe drauf schmeißen.“
Gerhard Fuchs