„COMPUTER NOCH NICHT EINSCHALTEN!“ Ein Schneider-Computer aus den 1980er-Jahren im Archiv
Schneider-PCW inkl. Tastatur, Nadeldrucker und Handbüchern aus der Sammlung des „gangan“-Verlags
Immer wieder geraten interessante Archivobjekte dann ins Zentrum der Aufmerksamkeit, wenn sie – oft erstmals oder nach langer Zeit – benutzt werden sollen. So war es auch beim Schneider-PC aus dem Sammlungsbestand des Gangan-Verlags: Eine Anfrage zu Texten, die auf den zugehörigen 3-Zoll-Disketten gespeichert sind, warf Fragen nach der Funktionstüchtigkeit des Rechners, der Disketten und Peripheriegeräte ebenso auf wie nach möglichen Ausgabe- und Archivierungsoptionen vom Speichern bis zum Ausdrucken. Für den Gangan-Gründer und -Verleger Gerald Ganglbauer ist die Suche nach vielleicht verlorenen Dateien nichts Neues: Als ihm Mitte der 1990er-Jahre im australischen Redfern sein Laptop „mit allen Aufzeichnungen“ gestohlen wird, bietet er via Sydney Morning Herald das Benutzerhandbuch im Austausch für die verlorenen Dateien an (so berichtet er im Band Geografie der Liebe, S. 4), und als er kürzlich seinen „alten iMac aus Sydney“ nach 18 Jahren noch einmal hochfahren konnte, um nur dort vollständig gespeicherte Beiträge auf USB-Stick zu sichern, weiß er um sein „großes Glück“ (Kopfbahnhof, S. 85).
Die Auseinandersetzung mit den Medien des Schreibens und Verlegens, vor allem mit Computern, war für Ganglbauer, den studierten Medienfachmann und IT-Ingenieur, selbstverständlich. Von der Remington-Schreibmaschine, die ihn auf Reisen begleitet und mit der er sich bald „wie ein Relikt aus der Vergangenheit“ (Ich bin eine Reise, S. 71) vorkommt, über den Macintosh, an den es ihn immer wieder zur literarischen Produktion zieht (Ich bin eine Reise, S. 22 und 77), bis zum langersehnten und für das Selbstverständnis als Schriftsteller konstitutiven Laptop, ein „schickes kleines MacBook“ (Ich bin eine Reise, S. 84): „Scheiß Schreibmaschine, denke ich, warum habe ich keinen Laptop auf den Knien […]. Wenn ich Schriftsteller werden will, werde ich mir doch irgendwann einen Laptop kaufen“ (Ich bin eine Reise, S. 43). Auch für die Verlagsarbeit zwischen Graz, Wien und Sydney, die schriftliche wie literarische Verständigung rund um die Welt, für das bereits seit 1996 im Internet zugängliche Magazin Gangway und zuletzt den Einsatz rund um das Thema Parkinson waren zeitgemäße Kommunikationswerkzeuge notwendig wie selbstverständlich. Dass Verlagsverwaltung und Buchproduktion nicht im selben Maß Thema von Ganglbauers Texten sind wie sein literarisches Leben und Schreiben mag neben dem konkreten Nutzungszeitraum auch ein Grund dafür sein, dass unser Schneider-PC dort leider keine expliziten Spuren hinterlassen hat. Sehen wir uns diesen selbst also genauer an.
Der Rechner aus dem Bestand des Gangan-Verlags führt uns zurück in die Zeit der ersten Heim- und Bürocomputer Mitte der 1980er-Jahre. Es handelt sich laut Typenetikett um das Modell Schneider Joyce PCW 8512. PCW steht für „Personal Computer for Word Processing“, 8 für die achte Modellreihe und 512 für 512 KB Speicher. Hergestellt wurde er 1985 von der Firma Alan Malcom Sugar Trading (Amstrad) aus England, gefertigt in Korea, und in Deutschland von den Schneider Rundfunkwerken aus dem bayrischen Türkheim unter dem Namen „Joyce“ verkauft. Dieser Codename für das Projekt war angeblich der Vorname von Alan Malcom Sugars erster Sekretärin. Es handelt sich um ein Komplettsystem mit grün-weißem Bildschirm, zwei Laufwerken für 3-Zoll-Disketten, einer Tastatur mit einer für heutige Gewohnheiten ungewöhnlichen Tastenbelegung, einem Nadeldrucker und einigen Programmen – etwa dem Textverarbeitungsprogramm LocoScript.
Amstrad bewarb den PCW als Schreibmaschinen-Ersatz und nahm sogar alte Schreibmaschinen beim Kauf eines Computers in Zahlung. Er war billiger als vergleichbare IBM-PCs, hatte dafür aber eine höhere Bildschirmauflösung, war oft schneller und bot eine Komplettlösung mit Drucker und Software. Das erklärt auch den anfänglich großen Erfolg dieser Modellreihe. Bei der 4. Amstrad Computer Show in London berichtete man stolz von 20.000 verkauften Geräten pro Monat, und auch die Schneider Computer Division in Deutschland konnte bis zur Computermesse CeBIT 1986 bereits über 60.000 Geräte absetzen. Es gibt aber auch einige Nachteile: Das Betriebssystem wird nicht auf einer Festplatte gespeichert, die für diesen Zweck noch zu teuer gewesen wäre, sondern auf einer 3-Zoll-Diskette, die man bei jedem Start einlegen muss. Diese doppelseitigen CF2-Disketten waren sehr teuer. Im Rechnungsbuch des Gangan-Verlags von 1986 wird der Ankauf von nur zwei Disketten mit rund 180 öS brutto verzeichnet. Auch waren sie immer schwerer zu bekommen, nachdem sich das 3,5-Zoll-Format durchsetzte. Leider sind solche Floppy Disks auch anfällig für Wärmeeinwirkung und elektromagnetische Strahlung, sind also schnell einmal defekt.
Die Programmierer und Bastler, die sich einen dieser frühen Bürocomputer leisten konnten, erweiterten die Möglichkeiten der Hard- und Software des Schneider Joyce innerhalb weniger Jahre in großen Schritten. Dennoch stellten die Schneider Rundfunkwerke 1988 den Vertrieb der Joyce PCW-Geräte in Deutschland ein. Restbestände wurden günstig abverkauft. Die Firma Amstrad brachte 1991 noch zwei neue Modelle heraus, nun auch mit 3,5-Zoll-Laufwerk und Tintenstrahldrucker, aber fast nur mehr für den englischen Markt. 1992 wurde die Produktion gänzlich eingestellt. Heute findet man Rechner des Modells Schneider Joyce PCW noch in diversen Computermuseen – etwa im Computermuseum Ebenthal oder im Heinz Nixdorf MuseumsForum. In den meisten Fällen kann man sie nach wie vor in Betrieb setzen. Darüber hinaus existiert in Deutschland der Verein „JOYCE-User-AG e.V.“, der diese Geräte bis heute mit viel Nostalgie pflegt und verwendet.
Der Schneider Joyce-Rechner für den Gangan-Verlag wurde von Gerald Ganglbauer bereits 1985 in einem HP-Geschäft in der Grazer Schönaugasse erworben, war also beim Kauf das modernste Gerät seiner Zeit. Er wurde von ihm und Bruno Jaschke dazu verwendet, literarische Texte, journalistische Artikel und Briefe mit dem Programm LocoScript zu verfassen, mit Hilfe des Programms dBase II die Versandadressen zu verwalten sowie Serienbriefe und Rechnungen zu drucken. Es gibt noch einige Ausdrucke der Adressdatei zwischen 1987 und 1991 auf gelochtem Endlospapier, die händisch ergänzt wurden. Das Kassenbuch und das Warenausgangsbuch wurden zur gleichen Zeit aber noch handschriftlich geführt, d.h. die Büroarbeit ist, wie in den meisten anderen Betrieben, nur Schritt für Schritt digitalisiert worden. Bis 1986 stand der Rechner im Grazer Verlagsbüro, von 1987 bis 1992 dann in Wien. Danach wurde er durch zwei Apple Macintosh SE (Wien und Sydney) ersetzt.
Will man nun auf die gespeicherten Daten zugreifen, muss man den Rechner einschalten, die Systemdiskette einlegen und nach dem Booten die Datendisketten einlegen und auslesen. Danach kann man die Daten ausdrucken, denn eine Schnittstelle, um sie auf moderne Speichermedien zu übertragen, existiert zwar, sie muss aber erst aufgebaut und eingerichtet werden. Soweit die Theorie.
In der Praxis sieht man sich zunächst einmal die mitgelieferten Handbücher an, um nichts falsch zu machen und vielleicht wichtige Dateien durch einen Benutzerfehler unwiderruflich zu löschen. „Computer noch nicht einschalten! Lesen Sie erst die Einleitung und Kapitel 1 des Benutzerhandbuchs“ (Gilmour/Hall/Phipps: JOYCE Benutzerhandbuch. Amsoft 1985), wird man schon auf dem Vorsatzblatt in großen Lettern gewarnt. Das erste Handbuch, dickleibig und in Spiralbindung, richtet sich sichtlich an völlige Anfänger der Computerarbeit, wobei mehrere Benutzeranleitungen recht unübersichtlich zusammengebunden wurden. Es beginnt mit gut illustrierten Anleitungen, wie man die Geräte ansteckt und einschaltet (Kap. 1, S. 1–6), erklärt das Verfassen von Texten im Programm LocoSript analog zu einer Schreibmaschine (Kap. 2) und gibt genaue Anweisungen, wie man Texte auf Diskette wie in einem Registrierschrank ordnet, um sie problemlos wiederauffinden zu können (Kap. 3). Die Parallelen dieser Erklärungen zur Büroarbeit vor dem Computerzeitalter sind unübersehbar.
Zuweilen gibt es auch Bezeichnungen, über die man schmunzeln möchte. Die Walze für den Transport des Endlospapiers im Drucker heißt „Traktor“ (Kap. 2, S. 14); „Der Drucker muss auf ‚Online‘ stehen, um druckbereit zu sein“ (Kap. 4, S. 74), wobei „online“ nur „mit dem Computer verbunden“ meint, und damit man keine falschen Disketten kauft, gibt es eine genaue Beschreibung: „Die Compact-Disketten sind dünne, rechtwinklige Dinger, die ungefähr 7,5 cm breit, 10 cm lang und 0,5 cm dick sind“ (Kap. 3, S. 1).
Wie umständlich das Textverarbeitungsprogramm aus heutiger Sicht ist, zeigt etwa die Tabelle für die Berechnung der Größe von Kopf- und Fußzeilen für verschiedene Papierformate, die man von den Zeilen des Haupttextes abziehen muss (Kap. 4, S. 55). Um eine Zeile freizulassen, muss man wiederum den Befehl „ESC N 1“ eingeben (Kap. 5, Anhang 2, S. 11). Im Gegensatz zu einem Text, der mit einer Schreibmaschine verfasst wurde, kann man dagegen jeden Schritt wieder rückgängig machen. Auch sind die Menüs selbsterklärend und das Programm LocoScript war seiner Zeit in vieler Hinsicht weit voraus. Es bietet beispielsweise von vornherein einen altgriechischen Schriftsatz und kann mit vielen anderen Schriftsätzen erweitert werden.
Weitere Kapitel sind bereits für fortgeschrittene Computeranwender gedacht. So kann man etwa mit Hilfe des Programms „Dr.Logo“ eine virtuelle Schildkröte über den Bildschirm schicken (Kap. 3: Die Primitive von Dr.Logo, S. 1). LOGO ist eine Programmiersprache, die in den 1970er-Jahren am MIT entwickelt wurde, um „die Prinzipien der Mathematik und des Programmierens spielerisch [zu] vermitteln“ (Dr.Logo, Kap. 1, S. 1). Das zweite Handbuch ist eine detaillierte Einführung in die Programmiersprache BASIC. Damit werden also schon Benutzer angesprochen, die eigene Programme schreiben möchten. Mit der Lektüre von nur zwei Handbüchern wird man also vom völligen Anfänger zum Computerprofi.
Hält man sich nun an die Anweisungen des Handbuchs, ist das Ergebnis leider ernüchternd: Der Computer funktioniert nicht, denn ein Antriebsriemen aus Gummi im Laufwerk ist defekt und es ist unklar, ob die alten Disketten noch funktionieren. Damit bleibt auch der Zugang zu den gespeicherten Dateien bisher verwehrt.
So entpuppt sich der Rechner im Archiv als Musterbeispiel für die möglichen Schwierigkeiten im Umgang mit veralteter Technologie. Hier scheinen alle Hürden versammelt: Die Obsoleszenz der Datenträger in den inzwischen vielleicht entmagnetisierten Disketten, jene der Lesegeräte im Rechner selbst sowie die fehlende Kompatibilität von Dateisystem und -format, Hardwareschnittstellen oder Emulatoren und schließlich der kritische Faktor Zeit – Hürden, die noch zu überwinden sind, will man den Rechner nicht nur als Museumsstück und die Disketten nicht nur wegen ihrer historischen Beschriftungen aufbewahren.
Stefan Alker-Windbichler, Hannes Schwab
Im Literaturhaus Graz findet am 16. Februar eine Lesung aus Gerald Ganglbauers Kopfbahnhof und ein Gespräch mit dem Autor statt.