HANNELORE VALENCAK: VORHOF DER WIRKLICHKEIT – Ein Frauenleben in der Enge der Nachkriegszeit
Ausschnitt aus dem maschinschriftlichen Typoskript des Romans „Vorhof der Wirklichkeit“ mit handschriftlichen Korrekturen aus dem Nachlass von Hannelore Valencak am Franz Nabl-Institut für Literaturforschung.
1972 publizierte Hannelore Valencak (1929-2004) ihren Roman Vorhof der Wirklichkeit. Dieses autobiographisch anmutende Werk beschreibt mit grausamer Klarheit das Heranwachsen einer jungen Frau während des Zweiten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit in Österreich. Eindringlich wirken vor allem die Schrecken der Bombardements, die Luftschutzkeller und der Orientierungsverlust der Menschen dieser Zeit. Wie nebenbei zeigt sich zwischen den Szenen alltäglichen Elends die Dramatik, mit der die namenlose Ich-Erzählerin konfrontiert ist. Als junge Schriftstellerin der Nachkriegsgeneration wurde Hannelore Valencak aufgrund ihrer nach Emanzipation strebenden Protagonistinnen mit Marlen Haushofer verglichen, doch heute ist sie als Autorin fast vollständig aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden. Als in den 1980er Jahren das Interesse an Literatur von Frauen in Österreich wuchs, wurden einige Autorinnen wiederentdeckt und neu aufgelegt, darunter auch Marlen Haushofer. Wie kommt es, dass Hannelore Valencaks Werk diese Aufmerksamkeit bis heute weitgehend verweigert bleibt?
Zur Entstehungszeit von Valencaks frühen Romanen entwickelte sich eine Schreibweise, die sich als Gegensatz zur Sprache der älteren Generation verstand, getragen wurde diese progressive Richtung unter anderem von Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus dem Umkreis der Wiener Gruppe. Dass Valencak ihrem konventionellen Erzählen treu blieb, führte dazu, dass sie mit der veralteten Literatur der Kriegsgeneration in Verbindung gebracht wurde. Diese Problematik war ihr durchaus bewusst, wie sie in ihrer Vita verdeutlicht: „In Graz war das Forum Stadtpark an die Macht gekommen und brach den Stab über alle Autoren, die keine Lust hatten, progressiv zu sein, also auch über mich.“
In ihren Romanen schildert sie in dokumentarischem Stil das Leben ihrer Protagonistinnen, die verzweifelt gegen die Provinzialität und die Verlogenheit der Nachkriegszeit ankämpfen. Diese Begrenzungen trafen auch Valencak selbst, für sie bedeutete Emanzipation damals, allein vom Schreiben leben zu können und nicht mehr im Büro arbeiten zu müssen. Ihre Fans nahmen Vorhof der Wirklichkeit als sehr persönliches Werk wahr. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn Valencak spielt in diesem Roman eindeutig mit dem Genre der Autobiographie. So ist etwa das Geburtsjahr der Protagonistin auch das von Hannelore Valencak, allerdings hat sie zum Ausmaß des Autobiographischen klar Stellung bezogen: „Vorhof der Wirklichkeit ist kein autobiographisches Buch, doch ich habe mir darin viel von der Seele geschrieben.“
Dass dieser Roman bei seinem Erscheinen untergegangen ist, liegt auch an praktischen Problemen wie der Überforderung des Verlages. Nachdem Hannelore Valencak einen Verlagsvertrag für das Manuskript bei Kremayr & Scheriau erhalten hatte, wurde der Roman 1972 rechtzeitig gedruckt. „Dann kam die Gratisschulbuchaktion, und der Verlag bekam derart viele Aufträge vom Bundesministerium für Unterricht, daß er nicht mehr dazu kam, meinen Roman zu binden.“ Deshalb war Vorhof der Wirklichkeit für die Buchhändler nicht vor Weihnachten erhältlich und auf der Frankfurter Buchmesse nur ein handgebundenes Exemplar verfügbar.
Entgegen den Vorurteilen der Literaturkritik, mit denen Hannelore Valencak zu kämpfen hat, ist Vorhof der Wirklichkeit alles andere als verstaubt. Das zeigt die offene Auseinandersetzung mit Themen wie weibliche Sexualität, Abtreibung und dem beengten Frauenleben der 50er Jahre. Auch für eine feministische Betrachtung bietet sich dieser Roman geradezu an, weil die Schwierigkeiten einer jungen Frau beschrieben werden, die Balance zwischen Berufstätigkeit, schriftstellerischen Ambitionen und Familie zu finden.
Einer der Hauptgründe dafür, dass Hannelore Valencaks Werk in Vergessenheit geriet und bis heute nicht wiederentdeckt wurde, liegt in der vorschnellen Kategorisierung ihres Schreibens. Mit der Zuordnung ihres Werkes zur vorangegangenen Generation wurden ihre Romane aus dem Kanon ausgeschlossen. Dieses Schicksal traf vieles, was abseits der Wiener Gruppe mit den konservativen 50er Jahren in Verbindung gebracht wurde. Obwohl ihr das bewusst war, unterließ sie es, sich den aufkommenden literarischen Strömungen anzuschließen. „Die Mission des musischen Menschen (nicht nur heute) besteht, wie ich meine, unter anderem darin, dem Zeitgeist entgegenzuwirken, sobald er über die Stränge schlägt. Ich habe dies bewußt oder unbewußt meistens getan.“
Stephanie Lindner