„…HAUPTSÄCHLICH PROSA, DANEBEN AUCH LYRIK.“ Ein Autor stellt sich vor.
Leporello Literaturhaus Graz, September-Oktober 2005, inkl. Einlageblatt.
Der 13. Oktober 2005 im Literaturhaus Graz – eine Premiere in mehrfacher Hinsicht. Das Datum markiert nicht nur den Beginn der Lesereihe „3×20“, im Rahmen derer eine Gruppe junger Autorinnen und Autoren aus Graz regelmäßig im damals ebenfalls noch recht jungen Literaturhaus Lesungen abhalten wird – die spätere Gruppenbezeichnung „die plattform“ etabliert sich erst mit der zweiten Lesung im Jänner des darauffolgenden Jahres. Die Veranstaltung stellt auch eine Lesungs-Premiere in besagtem Rahmen für drei junge Schriftsteller der Gruppe dar – allesamt Autoren, die in weiterer Folge immer wieder als Lesende an das Literaturhaus zurückkehren werden: Marcus Poettler, Stefan Schmitzer und Clemens Setz.
Der jüngste der drei ist der damals 22-jährige Setz. Der junge Autor gibt sich in einer knappen biografischen Selbstbeschreibung wie auch auf dem begleitenden Porträtbild vergleichsweise zurückhaltend – keine biografischen Details, keine ausgefallene Selbstcharakterisierung:
Geboren 1982 in Graz. Seit 2001 Studium der Mathematik und Germanistik an der Karl-Franzens-Universität. Bisher einige Veröffentlichungen in Zeitschriften und in Jahrbüchern. Schreibt hauptsächlich Prosa, daneben auch Lyrik.
Setz folgt dem meist sehr schematischen Aufbau solcher biografischen Paratexte, die neben Veranstaltungsankündigungen auch Zeitschriften, Romanen, Anthologien etc. angehängt werden, recht schmucklos:[1] Lebensdaten, Werdegang, Publikationen, Erfolge und Preise. Mit letzteren kann der junge Autor damals noch nicht aufwarten. Der spätere Erfolg kündigt sich erst langsam an. Setz hat 2002 mit kurzen, äußerst pointierten Gedichten als formverspielter Lyriker in den Lichtungen debütiert, 2004 folgte in zwei Ausgaben der Zeitschrift weitere Lyrik und im Februar 2005 die Veröffentlichung einer Frühfassung der für den späteren Erzählband namensgebenden Erzählung Das Mahlstädter Kind in der Grazer Wandzeitung der ausreißer. In den begleitenden Kurzviten fehlt noch jener Hang zur Selbstinszenierung, der für Setz und sein Werk später zentral werden sollte und der im Leporello in der Darstellung anderer Autor*innen durchaus zu finden ist: „Katholikin, abergläubisch, bewegte Jugend, […] Möglicherweise im Besitz einer Waffe“, heißt es beispielsweise an anderer Stelle über eine junge Monique Schwitter, der zu diesem Zeitpunkt zwar auch noch die spätere Preisliste fehlt, die aber vom strengen Schema der Textsorte abweicht und so gemäß ihrem literarischen Programm mit Autofiktion und Selbstimage spielt. Setz’ Selbstbeschreibung überrascht eher durch eine Schlichtheit und Lakonik, die man aus heutiger Sicht so nicht von ihm gewohnt ist und die sich bis in die Begleittexte seiner ersten beiden Romane fortsetzt. Die Texte werden lediglich um Verweise auf die ersten Buchpublikationen und erste Preisnominierungen ergänzt.
Erst nach der Veröffentlichung des zweiten Romans Die Frequenzen (2009), der ob seiner Nominierung für den Deutschen Buchpreis auf ein breites mediales Echo stößt, beginnen die Selbstbeschreibungen des Autors an Profil zu gewinnen. In einer biografischen Notiz zum 187. Heft der manuskripte (2010), in dem Setz seine Kurzgeschichte Weltbild veröffentlicht, bezeichnet sich Setz zum ersten Mal als „Obertonsänger“. Interviews und Lesungen tun ihr Übriges, um nach und nach ein gewisses Image des Autors zu zeichnen, das Christian Dinger mit seinem Begriff des „poeta nerd“[2] auf den Punkt bringt. Es mag zum Teil dem Wechsel zu einem größeren Verlag – ab 2011 ist Setz bei Suhrkamp – und einem damit einhergehenden gesteigerten Marketingbewusstsein geschuldet sein, doch das autofiktionale Spiel mit dem eigenen Image, der eigenen Biografie wird spätestens mit Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes (2011) auch grundlegend für die Ästhetik Setz’. Im besagten Erzählband tritt Setz nicht nur selbst als greises, sabberndes Herzstück der Sammlung in einem fiktiven Literaturarchiv in Erscheinung, das Bild des Autors als schrulliger Exzentriker und Außenseiter wird durch die paratextuelle Charakterisierung „Übersetzer, Obertonsänger, Gelegenheitszauberer“ komplettiert. Einen vorläufigen Höhepunkt erreicht die Verflechtung von Text und Paratext mit dem Roman Indigo (2012), dem der Autor eine semifiktionale Kurzbiografie voranstellt:
Clemens J. Setz, 1982 in Graz geboren, studierte Mathematik und Germanistik in Graz. Er arbeitete als Mathematik-Tutor u.a. im Proximity Awareness & Learning Center Helianau und als Journalist. Seit 2008 treten bei ihm die Spätfolgen der Indigo-Belastung auf. Heute lebt er als freier Schriftsteller zurückgezogen mit seiner Frau in der Nähe von Graz.[3]
Der eigentlich faktische Gehalt der Kurzbiografie wird durch die Anreicherung mit fiktiven Handlungselementen aus dem Roman untergraben; der reale Autor Setz verschmilzt schon vor dem eigentlichen Beginn der Romanhandlung mit der Hauptfigur, die ebenfalls Clemens Setz heißt; die damit einhergehende Selbstinszenierung gewinnt eine neue Dimension.
Auch wenn der Band Bot. Gespräch ohne Autor (2018) das metafiktionale Spiel mit der eignen Person fortsetzt, so sind doch die biografischen Kurzbeschreibungen, die Setz’ jüngste Texte begleiten, wieder klassischer gehalten: Lebensdaten, Werdegang und eine mittlerweile lange Liste an Publikationen und Preisen. Das besagte Image, so scheint es, muss auf diesem Weg nicht weiter gepflegt werden. Es ist wie der Autor selbst mittlerweile etabliert, zum Teil auch, wie Setz in seiner Rede zur Literatur Kayfabe und Literatur[4] reflektiert, ein wenig überholt.
David J. Wimmer
Vom 14.4.–16.4. findet das Internationale Symposium Glitches, Bots und Strahlenkatzen. Gegenwart bei Clemens J. Setz als Online-Konferenz statt. Clemens Setz liest aus seinem jüngsten Buch Die Bienen und das Unsichtbare und Experten aus Kunst, Wissenschaft und Feuilleton nähern sich dem Werk des Autors an. Links zu den Live-Streams der Lesungen und Vorträge finden Sie hier.
[1] Setz hat eine erste Fassung der Selbstbeschreibung sogar noch um die genauen Verweise auf seine bisherigen Publikationen gekürzt.
[2] Christian Dinger: Das autofiktionale Spiel des poeta nerd. Inszenierung von Authentizität und Außenseitertum bei Clemens J. Setz. In: „Es gibt Dinge, die es nicht gibt.“ Vom Erzählen des Unwirklichen im Werk von Clemens J. Setz. Hrsg. v. Iris Hermann u. Nico Prelog. Würzburg: Königshausen & Neumann 2020. (= Literatur&Gegenwart. 4.) S. 65–76.
[3] Clemens Setz: Indigo. Berlin: Suhrkamp 2013. (= suhrkamp taschenbuch. 4477.) S. 2.
[4] Clemens Setz: Kayfabe und Literatur. (URL: bachmannpreis.orf.at/v3/stories/2987078/ abgerufen am 17.3.2021)