„EIN DING GLEICH MIR“. Schreibmaschinen und ihre Schriftsteller:innen
Drei Schreibmaschinen: Rote Brother-Schreibmaschine inkl. Korrekturpapier aus dem Vorlass von Franz Weinzettl, rote IBM-Schreibmaschine aus dem Vorlass von Günter Eichberger sowie graue Adler-Schreibmaschine aus dem Nachlass von Doris Mühringer.
SCHREIBKUGEL IST EIN DING GLEICH MIR: VON
EISEN
UND DOCH LEICHT ZU VERDREHN ZUMAL AUF REISEN.
GEDULD UND TAKT MUSS REICHLICH MAN BESITZEN
UND FEINE FINGERCHEN, UNS ZU BENUETZEN.1
So schreibt Friedrich Nietzsche zu Beginn der 1880er-Jahre halb erblindet auf seiner kurz zuvor angeschafften ‚Skrivekugle‘, einer Mitte der 1860er-Jahre entwickelten Frühform der Schreibmaschine. Der Text ist nicht nur sprechendes Zeugnis einer sehr persönlichen Technisierungserfahrung im ausgehenden 19. Jahrhundert, sondern wohl auch eines der ersten Gedichte – wenn nicht das erste Gedicht – deutscher Sprache auf einer Schreibmaschine verfasst.2 Was im Laufe der nächsten Jahrzehnte zum wichtigsten Schreibwerkzeug für die meisten Schriftsteller:innen werden sollte, ist in der Frühphase der Technologie für Nietzsche und viele andere vor allem eines: ein mechanisches Hilfsmittel, das es blinden und sehschwachen Menschen ermöglichen soll, möglichst eigenständig schreiben zu können. In ihrer vorwiegend ‚prothetischen‘ Funktion haben die Maschinen häufig noch Prototypen-Charakter – es sind Einzelstücke oder Kuriositäten, nur in limitierter Anzahl produziert.
Erst mit der Patentierung der ersten Typenhebelmaschinen, die ab 1893 im Wesentlichen jene Mechanik aufweisen, die über die nächsten 100 Jahre in den meisten mechanischen Maschinen zum Einsatz kommen wird, beginnt die weltweite Massenproduktion. Mit der Jahrhundertwende steigert sich der Absatz explosionsartig: Während 1885 insgesamt erst 5000 Maschinen des Marktführers Remington – eigentlich ein Waffenfabrikant – in Gebrauch sind, erhöht sich bis 1905 die Produktion in den Remington-Werken auf eine Maschine pro Minute.3
Das Zeitalter der Schreibmaschine, das „Typewriter Century“4 beginnt. Dabei ist der englische Begriff ‚Typewriter‘, wie auch Friedrich Kittler bemerkt,5 ein zweideutiger – bezeichnet er doch nicht nur das Gerät, die Schreibmaschine, sondern auch die tippende Person, die (Steno-)Typistin. Angesichts der eindeutigen Geschlechterverhältnisse in diesem Berufsfeld erscheint das generische Femininum an dieser Stelle berechtigt, denn innerhalb kürzester Zeit entwickelt sich das Maschinenschreiben zu einer fast rein weiblichen Profession. Um 1930 liegt der Anteil weiblicher Fachkräfte in den USA bei über 95% und in Europa ist die Lage wenig anders.6 Dass sich der unmittelbare emanzipatorische Gehalt dieser ‚Eroberung‘ einer ehemals männlichen Domäne in Grenzen hält, zeigt eben auch diese Doppeldeutigkeit und die damit vollzogene Gleichsetzung von Mensch und Gerät. Das Schreiben auf der Maschine ist zu Beginn des Jahrhunderts vorwiegend noch ein Auf- und Abschreiben, kein eigenständiges Formulieren, kein schöpferischer Akt. Das Geschriebene wird zumeist diktiert oder eben abgeschrieben. Dabei soll die Maschine vor allem die Schreibgeschwindigkeit erhöhen, Lesbarkeit verbessern und Vervielfältigung vereinfachen – vorerst steht also Pragmatik im Vordergrund. In solcher Weise wird die Schreibmaschine als Produkt auch beworben: „Remington Typewriters DO THE WORK“, heißt es in einer frühen Werbung lakonisch und wieder ist unklar, ob damit Frauen oder Maschinen gemeint sind.
Es ist vor allem der Einsatz in Büros, der Schreibmaschinen zu Beginn des Jahrhunderts zu einem höchst profitablen Produkt werden lässt, doch nach und nach drängen sie sich auch in den Arbeitsalltag von Schriftsteller:innen und Philosoph:innen, auch weil die Maschinen bald kleiner und leichter und somit portabel werden.7 Dabei sind sie nicht nur Objekte zur Verschriftlichung, sondern immer wieder auch Objekte des Schreibens selbst. So schreibt beispielsweise Siegfried Kracauer 1927 seinen Text Schreibmaschinchen, den er auch an seinen Freund, den Schreibmaschinenverweigerer Walter Benjamin schickt.8 Darin reflektiert Kracauer die eigene Beziehung zu seinem neuen Schreibwerkzeug, wobei er die Maschine augenzwinkernd sexualisiert: „Nur verlegen liebkoste ich – damals in den Anfängen unserer Beziehung – ihre kühlen Teile.“9 Auch wenn die Beziehung zwischen dem „Schreibmaschinchen“ und dem Ich-Erzähler letztlich in Ernüchterung endet – ein Tastendefekt und ein deswegen hinzugeholter Handwerker, der das ‚Maschinchen‘ entblößt, zerstören dauerhaft die intime Zweisamkeit –, zeugt der Text von einer tief liegenden Faszination für die ‚schreibende Maschine‘. Sie befeuert in dieser Zeit auch schon frühe Vorstellungen einer heute real existenten autor:innenlosen Literatur, allein von Apparaten produziert – der Tod des Autors wird gewissermaßen unter anderen Vorzeichen vorweggenommen.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelt sich die Schreibmaschine für Schriftsteller:innen mehr und mehr zu einem Identifikationsobjekt und Statussymbol. Olivetti-Reiseschreibmaschinen stehen für einen anderen Typ Schriftsteller als schwere Remingtons und zwischen mechanischen und elektrischen Modellen liegen ohnehin Welten – das Gerät erfährt weitere symbolische Aufladung. Dementsprechend gespickt ist die Literaturgeschichte mit anekdotischem Material und Biographemen, die die eigenwillige Beziehung von Autor:innen zu ihren Schreibmaschinen belegen: etwa Hunter S. Thompson, der als ‚Waffennarr‘ mehrere seiner elektrischen IBM-Schreibmaschinen ‚erschossen‘ haben soll, bevor er 2005 vor einer solchen mit dem Revolver Suizid verübt.10 Ingeborg Bachmann, die selbst im Briefwechsel mit Paul Celan fast alle Briefe tippt, weil ihr die Schreibmaschine mit ihrem Tippgeräusch zu „etwas Unverzichtbarem“ geworden ist, zu „einer Art von Denkmaschine“11. Friederike Mayröcker, die bis zu ihrem Tod im hohen Alter auf ihrer geliebten ‚Hermes Baby‘ arbeitet, von der sie 2016 nach eigener Aussage noch mehrere Modelle vorrätig hat.12 Oder Thomas Bernhard, der aus der Schreibmaschine ganz unmittelbar jenes „Diskursmaschinengewehr“13 macht, von dem bei Kittler die Rede ist, indem er auf seinem Hof in Ohlsdorf derart „hindrischt auf die Typen“, „daß es sich aus der Ferne wie ein Maschinengewehrfeuer anhörte.“14
Auffällig ist jedenfalls der schon mit Nietzsche einsetzende Hang zur Anthropomorphisierung des Schreibwerkzeugs, das offenbar von vielen als beseeltes Ding oder Teil ihrer selbst wahrgenommen wird. Dabei wird wieder deutlich, dass der Maschine im literarischen Kontext immer in einer Mischung aus Pragmatik und Fetischisierung begegnet wird: So ist sie für Schriftsteller:innen sowohl ein den Arbeitsalltag erleichterndes Schreibwerkzeug wie auch „EIN DING GLEICH MIR“. Als Zweiteres wird die Schreibmaschine auch heute noch gerne (im musealen Kontext) inszeniert: in (Dauer-)Ausstellungen häufig an prominenter Stelle als eine Art Platzhalter für die abwesende, verstorbene Person oder beispielsweise in einer Installation des Malers Vaclav Pozarek, die im Lesesaal des Schweizerischen Literaturarchivs15 gleich zwölf Maschinen von zwölf Autor:innen vergleichend nebeneinanderstellt. Ähnliche Postkartenmotive verbreiten sich seit Jahren im Internet, wobei die Unterschiedlichkeit der Schriftsteller:innen von der Unterschiedlichkeit der Maschinen gespiegelt wird und auch äußerlich scheinen sich ‚writer‘ und ‚typewriter‘ in gewisser Weise zu entsprechen.16
Die drei vorliegenden Maschinen repräsentieren in ähnlicher Weise die Nachlässe dreier Autor:innen. Sie stellen aber auch drei Entwicklungsstufen der Technik dar: die mechanische Büromaschine, die Reiseschreibmaschine und das elektrische Bürogerät. Aus dem Vorlass von Günter Eichberger stammt die rote IBM-Schreibmaschine mit Kugelkopf – ein Modell, das spätestens mit der Hunter-S.-Thompson-Verfilmung Fear and Loathing in Las Vegas von Terry Gilliam ikonisch geworden ist. Die Büromaschine der Marke Adler, Modell „Junior 3“, ist eine von zwei Schreibmaschinen aus dem Nachlass von Doris Mühringer, während das Reisemodell „deluxe 220“ des Herstellers Brother eine etwas komplexere Provenienz vorzuweisen hat: Die Maschine ist Teil des Vorlasses von Franz Weinzettl, der sie als „Sammler seit je“17 an sich nahm, als Alfred Kolleritsch sie entsorgen wollte. Alle drei Maschinen – und auch drei weitere Schreibmaschinen, die sich auf dieselben Vor- und Nachlässe verteilen – wurden kürzlich, im Laufe des Corona-Jahres 2021, in das Archiv des Franz-Nabl-Instituts aufgenommen.
Und auch wenn die Schreibmaschine heute, da sie quasi jeglichen praktischen Mehrwert verloren hat, vorwiegend als fetischisiertes Objekt in Erscheinung tritt, wird im Archiv ihre ehemals unmittelbare praktische Qualität wieder sichtbar: Wenn beispielsweise der Maschine von Doris Mühringer ein Schreibkontrollblatt beiliegt, auf dem die wichtigsten Funktionen von der Umschaltung zwischen Groß- und Kleinschrift über die Zeilenschaltung bis zur Farbgebung getestet wurden, oder ein Abholschein aus dem Frühjahr 1984, der die Reparatur eines gebrochenen Farbbandhebels „bis Dienstag“, wohl den achten Mai desselben Jahres, belegt. Oder wenn sich in einem an Alfred Kolleritschs Maschine angebrachten kleinen Fach noch immer Korrekturpapier der Marke Tipp-Ex befindet, teilweise mit etlichen Buchstaben bedruckt – also benutzt. Oder wenn Typoskripte Rückschlüsse auf Farbbandwechsel, Maschinendefekte oder umfangreiche Retuschen zulassen. Generell erlaubt erst der Abgleich mit Werkmaterialien einen tieferen Einblick in die Arbeitspraxis der jeweiligen Besitzer:innen. So wird deutlich, dass Günter Eichberger um 1977 beginnt, seine Texte auf einer Triumph-Schreibmaschine zu verfassen, die seine Eltern ihm schenken.18 Etwa 1987, nach dem Abschluss des Romans Der Wolkenpfleger, folgt der Wechsel auf die IBM-Maschine und 1996 mit den Arbeiten an Gesicht aus Sand der eher späte Wechsel auf den PC, der die Schreibmaschine ab da restlos ersetzt. Auch Doris Mühringer schreibt vieles mit der Maschine und das sogar noch länger als Eichberger (zumindest bis 2003), so ist auch fast die gesamte erhaltene (oft auch private) Korrespondenz (von D. M. an andere) maschinenschriftlich verfasst. Weinzettl wiederum notiert wie auch Kolleritsch alles per Hand, was er in einem weiteren Arbeitsschritt ‚zusammengetippt‘ auf das Papier bringt: „Irgendwann kam der Tag, an dem er sich einen Ruck gab und etwas von dem im Kopf oder in der Schreibtischlade Angesammelten in die Schreibmaschine tippte“, erinnert er sich an den Schreibprozess von Alfred Kolleritsch, aber allgemein gilt: „Das Um und Auf ist das Schreiben mit der Hand. Der richtigere Ausdruck für Schreibmaschine wäre Tippmaschine.“
Schreibmaschinen hatten also während des ‚Century of the Typewriter‘ unterschiedlichen Stellenwert für Schriftsteller:innen und ihren Schreibprozess: Für manche waren sie nur Auf- und Abschreibgeräte, die Handschriftliches zur besseren Leserlichkeit in gedruckte Schrift übertrugen, für andere waren sie Teil des Schreibprozesses, die Übertragung ein wesentlicher, auch produktiver Arbeitsschritt, für wieder andere waren sie allererstes Schreibgerät. Heute scheinen sie in dieser Hinsicht fast restlos von Computern verdrängt, dennoch scheint 2021 kein schlechtes Jahr für die Schreibmaschine gewesen zu sein – nicht nur am Franz-Nabl-Institut –, denn ebenfalls seit letztem Jahr ist im Sortiment von LEGO© eine tippfähige (wenn auch nicht schreibfähige) Schreibmaschine zu finden, bestehend aus 2079 Teilen und empfohlen für Sammler 18+: EIN DING GLEICH MIR: VON KLEMMBAUSTEIN.
David J. Wimmer
1 Zit. nach.: Friedrich Kittler: Grammophon. Film. Typewriter. Berlin: Brinkmann & Bose 1986, S. 300.
2 Vgl. ebda.
3·Vgl. Hugo Neumaier: Schreibmaschinenkunde. Entwicklung, Bau und Pflege. Berlin / Boston: Oldenbourg
Wissenschaftsverlag 1926 [Reprint 2019]. DOI: doi.org/10.1515/9783486753295. [02.08.2022], S. 5-24.
4 So der klingende Name einer kürzlich von Martyn Lyons veröffentlichten Kulturgeschichte der Schreibmaschine: The Typewriter Century. A Cultural History of Writing Practice. Toronto: University Press 2021.
5 Vgl. Kittler: Typewriter, S. 273.
6 Vgl. ebda.
7 Vgl. Lyons: Typewriter Century, S. 38.
8 Vgl. Davide Giuriato: (Mechanisiertes) Schreiben. Einleitung. In: „Schreibkugel ist ein Ding gleich mir: von Eisen“. Schreibszenen im Zeitalter der Typoskripte. Hrsg. von dems. Paderborn [u.a.]: Fink 2005, S. 7-20, hier S. 10f.
9 Siegfried Kracauer: Das Schreibmaschinchen. In: Ders. Schriften Bd. 5.2: Aufsätze 1927-1931. Hrsg. von Inka Mülder-Bach. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1990, S. 48-52, hier S. 48f.
10 Vgl. Lyons: Typewriter Century, S. 3.
11 Mareike Stoll: „… und eine Schreibmaschine.“ In: Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Historisch-poetische Korrelationen. Hrsg. von Gernot Wimmer. Berlin/Boston: de Gruyter 2014. (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte. 145.) S. 123-137, hier S. 126.
12 Friederike Mayröcker im Gespräch mit Renate Graber: „Ich schreibe um mein Leben.“ In: Der Standard (Wien) vom 23./24.04.2016, S. 35.
13 Kittler: Typewriter, S. 26.
14 Karl Ignaz Hennetmair: Ein Jahr mit Thomas Bernhard. Das notariell versiegelte Tagebuch 1972. Salzburg, Wien: Residenz 2000, S. 325.
15 Zur Website des Archivs. URL: https://www.nb.admin.ch/snl/de/home/ueber-uns/sla.html [09.08.2022].
16 Vgl. zum Beispiel: https://michaelwaynehampton.com/2014/06/05/writers-and-their-typewriters/ [09.08.2022].
17 Biografisches und Zitate von Weinzettl entstammen einer direkten E-Mail-Korrespondenz vom August 2022 mit dem Autor. Er gibt darin auch Auskunft über die Schreibgewohnheiten von Alfred Kolleritsch.
18 Selbiges gilt für biografische Informationen zu und Zitate von Günter Eichberger.