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Mittwoch, 27.11.2019
Elias Canetti: Rede für Graz. Abschrift, Ts., 3 Bl. hier: Ausschnitt v. Bl. 1, 11.6.1975, aus dem Nachlass von Franz Nabl am Franz-Nabl-Institut für Literaturforschung, Signatur: FNI-NABL-S7-4.6-Franz-Nabl-Preis. Abgedruckt unter dem Titel „Grazer Rede zur Verleihung des Franz-Nabl-Preises der Stadt Graz im Jahr 1975“ in: Elias Canetti: Aufsätze. Reden. Gespräche. München, Wien, Hanser 2005. (= Elias Canetti. Werke.) S. 88-90.
Die unten abgebildeten Zeitungsausschnitte stammen aus der „Schwarzbauer-Sammlung“ des Franz-Nabl-Instituts (Stichwortmappe „Nabl-Preis“). Das Ausschnittarchiv des Grazer Journalisten und Autor Heribert Schwarzbauer konnte 1991 vom Institut übernommen und seither kontinuierlich bis 2016 ausgebaut werden. Insbesondere die Belege aus den 1960er Jahren bis zur Jahrtausendwende bieten ein – bislang digital ansonsten nicht verfügbares – reichhaltiges Angebot an Informationsquellen zur regionalen Literaturgeschichtsschreibung.
N.N.: [Der Kulturreferent…]. In: Südost-Tagespost (Graz) v. 5.4.1974.
Walter Titz: „Unpolitisches“ Dichten aufs Konto der Nazis? Das Franz-Nabl-Symposion an der Grazer Universität. In: Neue Zeit (Graz) v. 18.1.1979.
Johannes Frankfurter: Franz Nabl – ein Nazi? In: Neue Zeit (Graz) v. 10.3.1984.
Nach dem Tod von Franz Nabl am 19. Jänner 1974 wurde alsbald der Plan ventiliert, einen großen Literaturpreis der Stadt Graz nach dem Nestor der traditionellen steirischen Literatur zu benennen. Ausschlaggebend dafür war wohl nicht zuletzt die Annäherung einiger Autoren (Wolfgang Bauer, Peter Handke, Alfred Kolleritsch, Gerhard Roth u.a.) der in der ersten Hälfte der 70er Jahre österreichweit höchst erfolgreichen und im internationalen Literaturfeuilleton gefeierten „Mitglieder“ der „Grazer Gruppe“ am Anfang der 70er Jahre. Nach dem Einverständnis der mit einer Ehrenrente bedachten Witwe Ilse Nabl wurde der anfangs mit 50.000.- öS dotierte Preis an Elias Canetti vergeben. Canetti, der am 5. November 1965 erstmals im „Forum Stadtpark“ gelesen hatte, pflegte seit der Mitte der 1960er Jahre ein freundschaftliches Verhältnis zu Nabl (vgl. dazu auch das „Objekt des Monats“ von Christian Neuhuber). In seiner Rede vom 11. Juni 1975 betonte er nicht nur seine Wertschätzung von Person und Werk, sondern verwies gleich einleitend auf „die Zahl der Talente, die während der letzten zehn oder fünfzehn Jahre hier hervorgetreten sind“ und titulierte Graz als „Nervenpunkt der modernen deutschen Literatur“. Canetti war so für die verleihende Instanz – die Stadt Graz – ein Glücksfall: Einerseits wurde die Namenswahl durch die Elogen des berühmten Ausgezeichneten bestätigt, andererseits führte die Verleihung zu einem Prestigezugewinn für die verleihende Instanz, die zudem das Etikett „Nabl“ als Schmelztiegel unterschiedlicher Autorengenerationen präsentieren konnte. Das Erfolgsprinzip der Selektion nach literarischer Qualität, Renommee, Prominenz und eine offensichtliche Kanon-Orientierung wurde in den folgenden Jahren beibehalten: 1977 Manès Sperber, 1979 Ilse Aichinger, 1981 Hermann Lenz. Allerdings war bereits im Jänner 1979 bei einem Symposium zu Franz Nabl, das die Grazer Germanistik veranstaltet hatte, durch einen Vortrag von Klaus Amann die NS-Verstrickung des Autors öffentlich bekannt geworden. Amann hatte auf Nabls konservativ-nationale Ausrichtung seit den 30er Jahren verwiesen und detailreich die Integration eines „Unpolitischen“ in den NS-Literaturbetrieb nach dem „Anschluss“ analysiert. Der in der NS-Literaturkritik als „Epiker der Ostmark“ apostrophierte Autor hatte durch Preise, Ehrungen und Lesereisen ins „Altreich“ seine Vereinnahmung durch das NS-Literatursystem nicht eben verunmöglicht, auch wenn offene, explizite politische Stellungnahmen für das Regime nicht nachzuweisen waren. In der sozialdemokratischen „Neuen Zeit“ vom 18.1.1979 berichtete Walter Titz ausführlich über den kritischen Vortrag Amanns, der 1980 – übrigens zusammen mit einem differenzierten Text Peter Handkes über „Franz Nabls Größe und Kleinlichkeit“ – im Symposiumsband Über Franz Nabl im Styria-Verlag (herausgegeben von Kurt Bartsch, Gerhard Melzer und Johann Strutz) erschien. Einen ersten Höhepunkt erreichte das öffentlich gewordene Unbehagen gegenüber der Namensgebung des Literaturpreises im Jahr 1983 anlässlich der Verleihung an Christa Wolf. Johannes Frankfurter, Mitglied der Vergabe-Jury und Laudator, schrieb in der „Neuen Zeit“ von Nabl als einem Autor, der sich „widerstandslos von der Nazi-Propaganda vereinnahmen [hatte] lassen“, versicherte aber gleichzeitig, dass die Jury durch die Auswahl der Preisträger diesen „Nazi-Makel“ „wieder gutzumachen versucht“ habe. Heinz Musker hatte in seinem Beitrag über die Wolf-Lesung über einen Tumult bei Christa-Wolf-Lesung: War Nabl ein Nazi? berichtet und abschließend gemeint: „Tatsächlich wäre zu überlegen, ob der Literaturpreis der Stadt Graz nicht einen ‚neutralerenʽ Namen kriegen sollte.“ (Kronenzeitung v. 10.3.1984). Bei den Preisvergaben der Folgejahre (1985 Peter Handke – weitergegeben an Michael Donhauser und Walter Grond, 1987 Wolfgang Koeppen, 1989 H. C. Artmann, 1991 Wilhelm Muster, 1993 Martin Walser, 1995 Christoph Ransmayr, 1999 Barbara Frischmuth, 2001 Urs Widmer) spielte die Problematik der Namensgebung keine herausragende Rolle, um dann im „Kulturhauptstadt“-Jahr 2003 umso öffentlichkeitswirksamer aufzupoppen. Der Kulturstadtrat Helmut Strobl hatte auf Anregung des mit Graz eng verbundenen bosnischen Schriftstellers Dževad Karahasan die Etablierung eines Europäischen Romanpreises der Stadt Graz beabsichtigt, der nach dem Nobelpreisträger Ivo Andrić, der 1923-24 in Graz seine Dissertation verfasst hatte, benannt werden und alternierend mit dem Nabl-Preis vergeben werden sollte. Der heuer mit dem „Österreichischen Buchpreis“ ausgezeichnete ehemalige Stadtschreiber (1989) Norbert Gstrein setzte sich dann in seiner Dankrede zur Verleihung des Nablpreises (abgedruckt in: Die Presse v. 29.3.2004, online) sehr differenziert mit den Texten Nabls, aber auch mit seiner politischen Verstrickung auseinander, und schlug vor, es „nicht als Brüskierung zu verstehen, wenn ich den schon existierenden Vorschlag, diesen Preis alternierend mit einem nach Ivo Andrić benannten zu vergeben, erweitere und Sie frage, ob Sie den Franz-Nabl-Preis nicht umbenennen wollen in Miroslav-Krleža-und-Ivo-Andrić-Preis der Stadt Graz.“ Diese Bestrebungen des Stadtrats und des Autors waren allerdings letztlich nicht von Erfolg gekrönt – die Rechteinhaber verweigerten die Zustimmung. Das Thema begleitete die folgenden Preisverleihungen als kalte Unterwasserströmung, ohne dass es wirklich zu Eruptionen gekommen wäre: 2005 Josef Winkler, 2007 Terézia Mora, 2009 Alfred Kolleritsch, der das Engagement Nabls für den Nationalsozialismus in seinen Nabl-Erinnerungen in einem Interview anlässlich der Preisverleihung (Der Falter v. 2.9.2009, S. 48; kostenpflichtig online) als „bürgerliche Sünde“ bezeichnete, 2011 Angela Krauß, 2013 Florjan Lipuš, 2015 Marlene Streeruwitz, 2017 Dževad Karahasan, 2019 Olga Flor.
Es scheint, dass sich in den letzten Jahren die Diskussion über den Namensgeber verflacht hat. Die Preisträger geben kaum noch öffentliche Stellungnahmen ab, wobei die Begründung für die Akzeptanz wohl in einem oder mehreren der folgenden Faktoren liegt: das Vertrauen in die (meist mehrjährig amtierende) Jury (dzt. Felicitas Ferder, Markus Jaroschka, Klaus Kastberger, Eva Orgler-Schäffer, Birgit Pölzl, Josef Winkler, der/die jeweilige vorherige Preisträger/in), die attraktive Dotierung (mit dzt. immerhin 15.000 Euro), die lange Reihe sehr prominenter und auch innerhalb der Autoren und Autorinnen angesehener Preisträger, der Überdruss am Thema NS-Belastung von Schriftstellern. Wie in der Diskussion über die NS-Straßennamen stehen ja prinzipiell im Umgang mit „belasteten“ Preisen und Institutionen mehrere Optionen offen: Beibehaltung mit akzidenteller Diskussion, Beibehaltung mit dauerhaft installierten Zusatzerklärungen, Umbenennungen. Im Fall Franz Nabl dürfte eine Strategie des „An-ihren-Früchten-werdet ihr-sie-erkennen“ eingeschlagen worden sein, etwa bei der 2013 erfolgten Zuerkennung des Nabl-Preises an Florjan Lipuš, der auf Slowenisch schreibt: Die dafür notwendig gewordene Satzungsänderung sollte wohl auch als Akt der Liberalität gewertet werden, der nicht zuletzt den deutschnationalen Hautgout des Namensspenders etwas übertünchen soll.
Den Franz-Nabl-Preis für 2019 wird Olga Flor am 4.12. ab 19 Uhr im Literaturhaus Graz entgegennehmen. Laudatio: Daniela Strigl.
Gerhard Fuchs
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