Helmut Schranz (12.1.1963-6.9.2015)
Mit Bildern und Fotos aus dem Nachlass, Signatur: FNI-SCHRANZ
An Helmut Schranz denken, heißt an unseren Kollegen am Nabl-Institut denken, heißt an die perspektive denken, heißt an Birnall und Birnbaumer denken und heißt auch an den Freund denken – an den rollschuhfahrenden Sänger, an seine Herzlichkeit, seinen Sprachwitz, seinen Gesang und sein schallendes Lachen. Vor 10 Jahren, genauer am 6. September, starb Helmut Schranz mit 52 Jahren an den Folgen seiner Krebserkrankung.
Helmut Schranz Nachlass
2021 wurde der Nachlass von Helmut Schranz durch das Literaturhaus Graz angekauft und befindet sich seitdem im Archiv des Franz-Nabl-Instituts. Er enthält 13 große Boxen mit Textmaterial, eine kleinere Box mit Fotografien sowie eine Mappe mit Zeichnungen. Materialen zu seiner Tätigkeit als Autor, private Notizbücher und Lebensdokumente vermengen sich mit seiner Tätigkeit als Herausgeber und Redakteur der Zeitschrift perspektive – umfangreichen Materialen, die nicht von ihm als Privatperson und Autor trennbar sind, mit Korrespondenzen mit zahlreichen Autorinnen und Autoren der perspektive, Textsammlungen und eingereichten Manuskripten.
Der umfangreichste Teil (21 Ordner mit eingereichten Texten und Korrespondenzen zahlreicher Autor:innen sowie weiteren 12 Ordnern mit Dokumentationen und institutioneller Korrespondenz) besteht aus dem Archiv zur Zeitschrift perspektive ab dem Zeitpunkt von Helmut Schranz’ Mitwirkung ab 1990. Bestand 2 ist eine Schenkung aus dem Jahr 2010 und umfasst eine Archivbox mit dem Redaktionsarchiv der Zeitschrift perspektive aus den Jahren 1982-84. (Signatur: FNI-SCHRANZ-2)1
Helmut Schranz, dessen Wohnung in der Rottalgasse gleichzeitig Redaktionsbüro wie Lager war, hat viel gesammelt. „Vermischtes Material“ des Autors, des Herausgebers, der Privatperson. So enthalten die 72 Notizbücher nicht nur private Tagebuchaufzeichnungen, sondern auch Anmerkungen zum Tagesgeschehen, Notizen und Skizzen mit literarischen Bezügen oder Recherchematerial. Neben den Tagebüchern sind zahlreiche Ordner mit Notizblättern mit Texten anderer, mit Zusendungen für die Zeitschrift, mit Materialsammlungen für diverse Projekte, die Diplomarbeit, Mail-Ausdrucke, Entwürfe, Korrekturen, Ergänzungen, Fassungen seiner eigenen literarischen Texte, kurz: Text- und Materialsammlungen aller Art ab den 1980er bis in die 2000er Jahre enthalten.
Die Ordner zur Zeitschrift perspektive, damals noch Hefte für junge zeitgenössische Literatur, ab Nummer 20 (1990) beinhalten tatsächlich vor allem Typoskripte und Computerausdrucke von eingereichten, nicht- oder schon publizierten Texten und diverse Korrespondenzen: Interessant ist hier neben der Liste der Autorinnen und Autoren, die über die Jahrzehnte als perspektive-Beiträger:innen bekannt sind (wie Antonic, Egger, Holland-Moritz, Huber, Höfler, Neuner, Reyer, Schalk, Schmitzer, Steinle, Sperl, u.a.), auch jene mit Autor:innen-Namen, die sich nicht unter dem Label „experimentell“ subsumieren lassen, und auf der Namen wie Franzobel, Glavinic, Mayröcker, Rosei oder Röggla auftauchen. Versammelt sind aber auch Unterlagen, die die Organisation der Zeitschrift betreffen, wie Subventions- und Finanzierungsanträge, Projekteinreichungen, Abrechnungen oder die Veranstaltungs- und Pressedokumentation. Weiters gibt es eine Schachtel mit diversen Fotos, die, an dem langen Zeitraum gemessen, nicht sehr umfangreich ist.
Was vielleicht unerwartet im Nachlass auch zu finden ist, ist eine Mappe mit Bildern von Helmut Schranz. Es sind Zeichnungen, Aquarelle, Skizzen in Feder und Tempera (A5-Format), großformatige Körper-Studien auf Packpapier in Graphit und Deckfarben, die neben Landschaft und Körper auch expressive Portraits zeigen. Sie stammen fast alle aus dem Jahr 1983, sind durchwegs signiert, und weisen in ihrer Fülle auf eine durchaus ernsthafte Ambition in dieser künstlerischen Richtung hin, bevor er sich offensichtlich ausschließlich der literarischen Produktion widmete. Zumindest sind aus späteren Jahren keine Bilder mehr vorhanden.
Helmut Schranz, der in Feldbach geboren und in Kirchberg/Raab aufgewachsen war, lebte ab 1980 in Graz und studierte hier Germanistik und Philosophie, ein Studium, das er mit einer Arbeit über die Literaturzeitschrift perspektive abschloss.2 Ab 2002 war er am Franz-Nabl-Institut beschäftigt, zunächst noch in der Humboldtstraße, dann in der Elisabethstraße, wo er die Bibliothek betreute und für die Zeitungsausschnittsammlung verantwortlich war.
Helmut Schranz und die perspektive
Wie schon erwähnt, und auch am Nachlass-Material gut sichtbar, war der Autor Helmut Schranz mit dem Herausgeber der Literaturzeitschrift perspektive-hefte für zeitgenössische literatur Helmut Schranz fast untrennbar verwoben. Helmut Schranz kam während seiner Studienzeit Anfang der 1980er Jahre erstmals mit der 1977 von Alfred Ledersteger und anderen in Bad Ischl als Schülerzeitung gegründeten und ab 1980 in Graz ansässigen Zeitschrift in Kontakt. Ab Heft 15/1988 war er Mitherausgeber der perspektive, deren Blattlinie er ab 1990 gemeinsam mit Ralf B. Korte, Margret Kreidl und Dieter Sperl im Redaktionsteam maßgeblich bestimmte.3
Er war Mitglied der gruppe perspektive zusammen mit ralf b. korte, Florian Neuner, Robert Steinle, und ab 1991 bis zu seinem Tod 2015 leitete er die Grazer Redaktion und organisierte die Lesungsreihe perspektive wortlaut. Über viele Jahre fanden die von ihm organisierten Zeitschriften-Präsentationen und Lesungen im Literaturhaus Graz statt. Helmut Schranz war ein Morgenmensch im umgekehrten Sinne. Es war durchaus üblich, dass er seine E-Mail-Einladungen zu den perspektive-Lesungen in den frühen Morgenstunden zwischen 3 und 5 Uhr versendete, die originell waren und nicht den üblichen Veranstaltungsavisos entsprachen.
Einladung zu einer Lesung im Literaturhaus 2010:
liebe freund+innen von sympathischer anarchie
trotz literatur die trotzdem WICHTich ist!!!
!!das nun restlos zu klären wär zuviel verlangt -- ABER
KOMMEN, und zuhören, am besten
E X T R A zu dieser veranstaltung
eintritt frei und herzlich
helmut+schranzperspektive.at
h.schranz, redaktion graz, 8010 rottalgasse 4
Helmut Schranz als Autor
Sein Engagement für die Zeitschrift war groß und selbstlos. Seine eigene schriftstellerische Tätigkeit wurde dadurch immer wieder in den Hintergrund gedrängt und die Publikation verzögert. Neben einigen Kooperationen, Gemeinschaftsarbeiten, Hörspielen sowie Beiträgen in Anthologien4 umfasst sein Werk die Einzeltitel „Gute Nacht Geschichte“ (1988), Schöner fehlen. stille exzesse (NN-fabrik 1998); BIRNall. es ist unter der haut (Ritter 2009) sowie sein letztes Buch BIRNall suada. Lyrik vulgo Prosa, Ritter 2015).
Helmut Schranz war nicht nur ein sogenanntes Original in seinem Tun, er war besonders originell in seinem Schreiben. Das zeigen seine Prosabände BIRNall, die über einen langen Zeitraum entstanden waren. Er war ein Sprachkünstler, der streng und konsequent einem avantgardistischen Literaturbegriff verpflichtet blieb, der in seiner sprachspielerischen Ausformung und seinem Sprachwitz kanonisierte Literatur dekonstruierte oder überschrieb. Mit dieser Haltung in eine Nische des Literaturbetriebs geschoben, blieb er ohne Larmoyanz oder gekränkten Narzissmus im Widerstand gegen die „gängige“, „kommerzialisierte“ Literatur, die allem Unerwarteten und Experimentellen keinen Raum mehr lässt. Lustvoll und spielerisch, radikal und wild, behutsam und poetisch arbeitete er mit Fragmenten und Montage, mit Überschreibungen und paradoxen Interventionen, mit Ironie und derbem Witz und anderen Mitteln, die mit Genuss eine lineare Erzählung torpedieren und tief in den verschlungenen Kosmos der Birnall’schen Kopfgeburt bzw. des multiplen Alter Egos namens Birnbaumer führen.
Für seine Tätigkeit als Autor wurde er mit Literaturförderungspreisen und -stipendien der Stadt Graz und des Landes Steiermark ausgezeichnet, zuletzt mit dem österreichischen Staatsstipendium für Literatur 2013/14 und dem Projektstipendium für Literatur 2014/15. 2014 erhielt er den erstmals vergebenen lime_lab Preis für Transdisziplinäre Hörspiel-Konzepte für sein Hörspiel Kleiner Pelz StrichCode Suada, das im Rahmen des steirischen herbstes 2014 im Forum Stadtpark uraufgeführt wurde.
Am Gang des Franz-Nabl-Instituts kann man Helmut Schranz im Vorbeigehen begegnen: In der Ganggalerie mit Fotografien (von Branko Lenart) sind zahlreiche Grazer und steirische Autorinnen und Autoren und deren Autographen zu sehen – ein Projekt, das anlässlich der Eröffnung des Literaturhauses 2003 entstanden ist. Unter sein Portrait hat er diesen Text gesetzt: „der kopf ist ein nützlicher gegenstand. man kann mit ihm erdbeeren sehen“.
Agnes Altziebler
1 Die Bestandsübersicht ist auf der Homepage des Franz-Nabl-Instituts abrufbar.
2 Vgl. Helmut SCHRANZ: Basislager Avantgarde: Perspektive – hefte für zeitgenössische literatur… Paradigmenwechsel in Gruppe, Zeitschrift, Lesungsreihen 1977 – 1999. Graz, Dipl.-Arb. 2005
3 Zur Entstehung der perspektive siehe Chiara-Teresa Kirschen: Objekt des Monats Jänner 2021 sowie Gerhard Fuchs: Objekt des Monats August 2016
4 etwa: Damals, vor Wort (mit Dieter Sperl), edition gegensätze 1992; Schundroman (mit diversen Autor:innen) edition kürbis 1994; das Hörspiel Reden Sie auch manchmal über Dinge die es gibt (mit Dieter Sperl), Erstsendung: ORF–Ö 1, 21. August 1997; absolut alles relativ unsonst (mit Christine Huber), edition ch 1998; (Hrsg. mit Horst Gerald Ganglbauer:) Lit-Mag #28: Graz 2003, Gangan 2003 und 2019; Beiträge in Anthologien (z.B.: der kopf des konrad bayer, in: Kafka in Graz und andere Episoden aus der (un)heimlichen Literaturhauptstadt, hrsg. v. Werner Schandor, Steirische Verlagsgesellschaft 2003.













