Zu Franz Nabl
Biographie/ Lebensstationen
Franz Nabl wurde am 16.7.1883 in Lautschin/Loučeň (Böhmen) als Sohn des Domänenrats der Herrschaft "Thurn und Taxis", Franz Nabl, geboren. Nach der Pensionierung des Vaters 1886 übersiedelte die Familie nach Wien. Von 1891-1895 erlebte Nabl seine Kindheit in Baden bei Wien, nach vorherigem Privatunterricht besuchte er ab 1893 das Gymnasium in Baden und von 1895-1900 das Elisabeth-Gymnasium in Wien. Von 1900-1902 wieder nach Baden zurückgekehrt, absolvierte er 1902 die Reifeprüfung. 1902-1907 studierte er vier Semester Jus und dann Philosophie in Wien. 1907 heiratete er Hermenegild Lampa und brach sein Studium ab. Er zog zwischenzeitlich nach Enzesfeld an der Triesting, war von 1911-1913 wieder in Wien, von 1913-1924 in Baden. 1924-1927 arbeitete er als Feuilleton-Redakteur beim "Neuen Grazer Tagblatt" in Graz. 1927 kehrte er für einige Jahre nach Baden zurück, lebte aber dann von 1934 an endgültig in Graz. Nach dem Tod seiner ersten Frau im Juli 1937 heiratete er im März 1940 Ilse Meltzer. Als Nestor der (traditionellen) steirischen Literatur starb Franz Nabl am 19.1.1974 in Graz.
Politische Ausrichtung
In den 20er Jahren orientierte sich Nabl verstärkt am antiurbanen, völkisch-nationalistischen Lager und verkehrte in den entsprechenden Grazer (Literaten-)Kreisen ("Südmarkrunde"). 1933 vollzog er mit vielen anderen österreichischen Autoren des nationalen Lagers den demonstrativen Austritt aus dem österreichischen P.E.N.-Club und war ab 1936 Mitglied beim "Bund deutscher Schriftsteller Österreichs", der als NS-Vorfeldorganisation und als Informationsträger für das Dritte Reich fungierte. Nach dem "Anschluß" nützte Nabl die Wertschätzung, die er bei den neuen Machthabern und Bibliothekaren (Erwin Ackerknecht) und Literaturwissenschaftlern (Ernst Alker) genoß, zu "Lesereisen" und Dichtertreffen ins "Altreich" und zeigte sich Ehrungen und Preisen gegenüber aufgeschlossen (1938 "Mozartpreis" der Hamburger Goethestiftung, 1943 Ehrendoktorat der Universität Graz). Huldigungsgedichte an den Führer oder ein öffentliches publizistisches Eintreten für das NS-Regime sind - im Gegensatz zu anderen AutorInnen wie etwa Hans Kloepfer - nicht nachweisbar. Trotz seiner eigenen Selbsteinschätzung als "unpolitisch" muß der Autor aber doch als einigermaßen opportunistischer Nutznießer des NS-Systems eingeschätzt werden, der auch nach 1945 keine klaren Worte zur (eigenen) NS-Verstrickung fand.
Eine detaillierte, kritisch-abwägende Darstellung von Nabls Verhältnis zur Politik im allgemeinen und zum Nationalsozialismus im besonderen findet sich bei Klaus Amann: Franz Nabl - Politischer Dichter wider Willen? Ein Kapitel Rezeptions- und Wirkungsgeschichte. In: Über Franz Nabl. Aufsätze. Essays. Reden. Hrsg. v. Kurt Bartsch, Gerhard Melzer und Johann Strutz. Graz/Wien/Köln: Styria 1980, S. 115-142.
Werk und Wirkung
In seinem 1911 veröffentlichten Roman Der Ödhof verarbeitete Nabl viel autobiographisches Material - von der problematischen Beziehung zu seinem distanziert-autoritären Vater bis zur Heimat- und Erlebniswelt des "Gstettenhofs" bei Türnitz in Niederösterreich, der als realhistorisches Vorbild des Ödhofs von 1888 bis 1901 im Besitz der Familie Nabl war. Die großbürgerliche Herkunft mit ihren Tüchtigkeitsappellen und starren Verhaltensnormen, die traumatischen Kindheitserfahrungen von Abhängigkeit und fehlender Lebensberechtigung, die zwischen Faszination und Abscheu schwankende Beziehung zum Weiblichen - all diese Faktoren verbinden sich zu einem in der Tradition realistischen Erzählens stehenden Familien- und Gesellschaftstableau, das sich auf die individuelle Entwicklung (und das Scheitern) von Einzelfiguren konzentriert. Der vermittelte Wertekatalog reicht von offensichtlichen Vorurteilen und Ideologisierungen (Frauen, Sozialdemokraten, der "Pöbel") über die Toleranz gegenüber Randgruppen und Außenseitern (Juden, Alkoholiker, Fremde) bis zu bürgerlich-liberalen Haltungen in bezug auf Religion und Ehe. Charakteristisch für Nabls "lebenslänglichen Zwiespalt" (Peter Handke) ist der vermittelte Gegensatz von Freiheitssehnsucht und Selbstdisziplinierung, von Weite und Enge, Ausbruch und Eingesperrtsein.
1917 erschien erstmals der Roman Das Grab des Lebendigen (später unter dem Titel Die Ortliebschen Frauen). Geschildert wird das Zusammenleben der kleinbürgerlichen Familie Ortlieb, die sich nach dem Tod des Haushaltsvorstands immer mehr nach außen abschließt und sich in ihren alltäglichen Tätigkeiten ausschließlich einer peniblen, sparsamen Haushaltsführung verschreibt. Mögliche Veränderungen erzeugen Angst: vor allem die Tochter Josefine erstickt jeden Kontaktversuch der Geschwister Anna und Walter im Keim, sperrt den geliebten Bruder schlußendlich gar in den Keller und begeht bei dessen Befreiung Selbstmord.
Der 1979 von Luc Bondy verfilmte Roman stieß auch später bei prominenten Gegenwartsautoren auf Interesse. Nach Elias Canetti hat sich vor allem Martin Walser für Franz Nabl und sein Werk eingesetzt: "Literarhistorikern möchte man gerne die Bitte aufdrängen, einmal zu untersuchen, woran es liegt, daß dieses Buch nicht jedesmal genannt wird, wenn die großen Bücher in deutscher Sprache genannt werden.", urteilte Walser 1994 anläßlich der Entgegennahme des Franz-Nabl-Preises der Stadt Graz.
Die Absage an die Idylle in der traditionellen Heimatliteratur machte den Autor bereits kurz vor seinem Tod 1974 auch für die jungen, aufstrebenden Autoren des "Forum Stadtpark" interessant: Peter Handke, Alfred Kolleritsch oder Gerhard Roth schätzten die strenge Erzählform Nabls, die sich vor allem die - oft scheiternde - Selbstbestimmung des Heranwachsenden zum Anliegen macht. Der anscheinend Integrationskraft signalisierende Name Nabl schien der steirischen Kulturpolitik bestens geeignet, Preise und Institutionen nach diesem Autor zu benennen: den 1975 erstmals vergebenen Franz-Nabl-Preis der Stadt Graz oder das 1990 eröffnete Franz Nabl Institut für Literaturforschung, das den Schwerpunkt seiner Tätigkeit allerdings von vornherein nicht auf den Namensspender legte, sondern auf die steirische (Gegenwarts-)Literatur im allgemeinen. Besonders im Gefolge der Preisverleihungen des Nabl-Preises entspannen sich manchmal Diskussionen über die Person Nabls und die politische Problematik der Benennung - so regte der Preisträger von 2003, Norbert Gstrein, in seiner Dankesrede die Umbenennung in "Miroslav-Krleža-und-Ivo-Andric-Preis" an. Der "Reibebaum" der mittlerweile überregional bekannten Trademark "Franz Nabl" sorgte und sorgt jedenfalls für inhaltliche Auseinandersetzungen und historische Analysen, wenn sich auch - ähnlich wie bei Straßenbenennungen - der Name im Lauf der Zeit seiner semantischen Aufgeladenheit entleert und zu einem annähernd neutralen Behältnis für jene Aktivitäten oder Leistungen mutiert, die durch die Institutionen angeboten werden und für die sie stehen.
Gerhard Fuchs