Gerhard Roth. Archen des Schreibens
Symposium des Franz-Nabl-Instituts für Literaturforschung der Universität Graz
Expeditionsreisende in nachtländische Jenseitsreiche, besessene Archivare des vorgeblich Unsichtbaren, Traum-Sammler und luzid im Dunkeln tappende Kommissare, aber auch ver-rückte Söhne auf der (metaphysischen) Vatersuche und zahllose Väter im Geiste – von Melville über Dante bis zu Tarkowski und Beuys –, sie alle bevölkern Gerhard Roths Literatur. Vom „Wahn, die gesamte Welt bis in ihre Einzelteile zu beziffern, um sie vielleicht nach der Apokalypse anhand exakter Pläne wieder zusammenzubauen“, berichtet er in einem seiner Essays und verliert sich mit sichtlichem Vergnügen in ausschweifenden Aufzählungen von Sammlungsobjekten aus den Wunderkammern der Wirklichkeit.
Der 1942 geborene Gerhard Roth gehörte jener Generation von Autorinnen und Autoren an, für die das eigene Leben mit einer Art Weltuntergang einsetzte. Im Bombenhagel der alliierten Befreier waren nicht nur Häuser und Menschen, sondern auch und vor allem vermeintliche Sicherheiten verschwunden. Schreibend baute er seine Archen, in denen er den Opfern der Geschichte, den Außenseitern, den bedrohten Arten (Menschen, Tieren, Pflanzen) und den dem Vergessen anheimfallenden Dingen (Alltags- und Kunstgegenständen, Büchern) – und nicht zuletzt sich selbst Schutzräume errichtete. Die Archen, die er konstruierte und mit seinen Materialien belud, wurden zu seiner eigentlichen Welt, einer zweiten Wirklichkeit in der Fiktion, in der die Dinge ästhetisch aufgehoben und gerettet sind.
Gerhard Roth ist knapp vor seinem 80. Geburtstag gestorben, seine Arche Noah, der Roman Die Imker, der noch einmal die Summe seiner vorherigen Werke zieht (darunter die beiden großen Erzähl-Zyklen Die Archive des Schweigens und Orkus), ist 2022 kurz nach seinem Tod erschienen. Eine Fragment gebliebene Jenseitsreise soll noch veröffentlicht werden. Der Zeitpunkt scheint geeignet, um eine erste posthume Verortung dieses umfangreichen Gesamtwerks vorzunehmen und anhand von bekannten Fragestellungen aus der Roth-Forschung und neueren Ansätzen (wie dem Posthumanismus) bereits auch dessen literarhistorische Bedeutung zu diskutieren.
Konzeption: Daniela Bartens, David J. Wimmer
Organisation: Elisabeth Loibner (Literaturhaus Graz)
In Kooperation mit dem Kulturhaus St. Ulrich in Greith.